Die von Verfassungsrichter Karl Spielbüchler (*1939 in Bad Ischl; † 2012 in Gosau; im Bild zweiter von links) entwickelte Judikatur zum Gemeindegut mit Erkenntnissen 1982 und 2008 löste bei den Agrariern Tirols zu Recht Händeringen aus. Nur Tirol leidet unter dem neuen Phänomen des „atypischen Gemeindegutes“, einer eigentumslosen Substanz der Ortsgemeinde, das bei der Agrargemeinschaft als substanzloses Eigentum erscheint. Ungeachtet der Tatsache, dass Karl Spielbüchler das „Gemeindegut“ in diesen beiden Erkenntnissen – entgegen einem klaren Willen des historischen Gesetzgebers - zu einem Eigentum der heutigen Ortsgemeinden stempelte, hat Karl Spielbüchler bereits im Grundsatzerkenntnis des VfGH von 1982 /VfSlg 9336/1982) anerkannt, dass das Flurverfassungsrecht auch das Rechtsphänomen berücksichtigt hatte, wonach die „Gemeinde“ eine Gemeinschaft von nutzungsberechtigten natürlichen Personen ist.

Die von Verfassungsrichter Karl Spielbüchler (*1939 in Bad Ischl; † 2012 in Gosau; im Bild zweiter von links) entwickelte Judikatur zum Gemeindegut, welches angeblich zwingend ein Eigentum der Ortsgemeinde sein müsse, entbehrt grundlegender Logik: Tatsächlich wurden die Agrarbehörden 1883 geschaffen, um über die wahren Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut zu entscheiden. Erst die Agrarbehörden erkennt in einer der Rechtskraft fähigen Art und Weise, wer der wahre Eigentümer eines „Gemeindeguts“ ist und wer gerade nicht. Die Agrarbehörden entscheiden wie ein Gericht und anstelle eines Gerichts.
Es versteht sich von selbst, dass die Entscheidung eines Gerichts, mit welcher die Eigentumsfrage geklärt und rechtskräftig entschieden wurde, gerade nicht in das Eigentumsrecht einer Partei eingegriffen hat. Diejenige Partei, die den Eigentumsstreit verloren hat, war nie Eigentümer – so die zwingende Logik im Rechtsstaat!
Und in diesem Sinn und mit dieser Wirkung ist die Agrarbehörde tätig geworden!
Diese Rechtslage hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 (Referent Karl Spielbüchler) ausgehebelt und der Gerichtshof hat die Agrarbehörde als Enteignungsbehörde hingestellt. Als Ausgangspunkt diente die erfundene These, wonach ein „Gemeindegut“ per gesetzlicher Definition nur ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde sein könne.

 

Abstract:

Mit seinem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 („Feldkirch-Eggenwald“) hat der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 15 Abs 2 lit d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz (FlVerfGG) wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit aufgehoben. Diese Bestimmung handelte vom „Gemeindegut“ als agrargemeinschaftliches Grundstück, das in dem von Verfassungsrichter Spielbüchler zu verantwortenden Erkenntnis falsch als ein notwendiges Gemeindeeigentum hingestellt wurde.

Der VfGH: Weil § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG das „Gemeindegut“ undifferenziert gleich anderen agrargemeinschaftlichen Grundstücken behandeln würde, sei diese Regelung verfassungswidrig. Das „Gemeindegut“ sei nämlich (angeblich) zwingend und notwendig ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinde, weshalb das Gemeindegut nicht gleich wie die anderen agrargemeinschaftlichen Grundstücke behandelt werden dürfe.
Als (angeblich) verfassungswidrig aufgehoben wurden auch die korrespondierenden Ausführungsbestimmungen in den Vorarlberger und Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetzen.

Das „Gemeindegut“ wurde mit diesem Verkenntnis des VfGH als ein Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde neu erfunden. Dies falsch und entgegen einer rund einhundertjährigen Rechtstradition des (ursprünglich) Teilungs- Regulierungs- bzw (später) des Flurverfassungsrechts seit dem Jahr 1883!

Der Rechtssatz, dass ein „Gemeindegut“ zwingend ein Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde sein müsse, ist schlicht frei erfunden und nicht einmal logisch.
Seit den Anfängen des Agrarrechts wurde alles als ein Gemeindegut bezeichnet, was der Ortsgemeinde zu Verwaltung überantwortet wurde. Dass die einvernehmliche Verwaltung einer Liegenschaft in Anwendung der Gemeindeordnung kein Eigentumstitel sein kann, braucht nicht erörtert zu werden.

Der Verfassungsgerichtshof hatte mit dem Verkenntnis VfSlh 9336/1982 den klaren Willen des Gesetzgebers durchbrochen.
Entgegen dem Willen des Gesetzgebers wurde ein neuer Rechtsbegriff des Gemeindegutes geschaffen. Ein agrargemeinschaftliches Gut, das von der Ortsgemeinde nur verwaltet wurde, wurde durch Richterrecht in ein Alleineigentum der Ortsgemeinde „verwandelt“.

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich mit diesem Erkenntnis über den Gesetzgeber gestellt. Für solche Gerichtsentscheidungen hat sich der Begriff „Justizputsch“ eingebürgert.

ANALYSE VON JOSEF KÜHNE

Josef Kühne hat in der seinem verstorbenen Freund Andreas Saxer, Verfassungsrichter von 1974 bis 1987, gewidmeten Abhandlung „Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde – zugleich eine Besprechung des Erk VfSlg 9336/1982 (Kühne/Oberhofer, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 2011, 237ff), alle juristischen Einwänden zusammen getragen, die gegen dieses „Verkenntnis“ (Josef Kühne) erhoben werden müssen. Andreas Saxer war zu dem Zeitpunkt, als das Verkenntnis im Gerichtshof entstanden ist, Referent für das Agrarrecht. Verfassungsrichter Karl Spielbüchler hatte gegen seine Erledigungsvorschläge Widerstand im Kreis der anderen Verfassungsrichter organisiert. Am Ende des Tages legte Verfassungsrichter Andreas Saxer das Referat für das Agrarrecht zurück und Verfassungsrichter Karl Spielbüchler, „der rote Professor“ (Eigendefinition Karl Spielbüchler), zog das Referat im Agrarrecht an sich. Als Ergebnis wurden die Bestimmung des § 15 Abs 2 lit d Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz zum „Gemeindegut“ und die entsprechenden Ausführungsbestimmungen dazu in den Landes-Flurverfassungsgesetzen Vorarlbergs und Tirols als verfassungswidrig hingestellt und aufgehoben. Die Grundlagen des Österreichischen Flurverfassungsrechts wurden im Fundament getroffen und auf den Kopf gestellt. Andreas Saxer hatte noch im Jahr 1982 seinen Freund, Josef Kühne, damals Universitätsprofessor für die juristischen Fächer an TU Wien, ins Vertrauen gezogen. Andreas Saxer hatte davor gewarnt, dass das Erkenntnis VfSlg 9336/1982 unabsehbare Folgewirkungen entfalten könne. Saxer wollte, dass sein Freund Josef Kühne sich mit dem Erkenntnis VfSlg 9336/1982 wissenschaftlich auseinandersetze; die falschen Prämissen sollten aufgedeckt werden; einer weiteren Fehlentwicklung des „Rechts der agrarischen Operationen“ sollte vorgebeugt werden. Em. Verfassungsrichter Hofrat Dr. Andreas Saxer ist 1995 verstorben; mit dem Mieders-Erkenntnis als Folgewirkung des Erkenntnisses VfSlg 9336/1982 wurde der Umsturz im Recht der agrarischen Operation vollzogen. Spät aber doch hat em o. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne die Anregung seines Freundes Andreas Saxer aufgegriffen und er hat sich mit den Thesen und Prämissen des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 9336/1982 auseinandergesetzt. Die fundierte Analyse von Josef Kühne („Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde – zugleich eine Besprechung des Erk VfSlg 18.446/2008“, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 2011, 237ff) erweist das Erk VfSlg 9336/1982 als Blendwerk ohne Fundament im Österreichischen Recht.

EINWENDUNGEN GEGEN VfSlg 9336/1982

Zusammengefasst hält em o. Univ.-Prof. Dr. Josef Kühne dem Erkenntnis VfSlG 9336/1982 folgendes entgegen: 1. Der Reichsgesetzgeber wollte mit dem TRRG 1883 den Ländern die rechtlichen Möglichkeiten eröffnen, die Rechtsverhältnisse an den historischen Gemeinschaftsliegenschaften einer Klärung und Neuorganisation zuzuführen, sei es durch Regelung (Regulierung) der Nutzungs- und Verwaltungsrechte, sei es durch Teilung in Einzeleigentum. Die für diesen Zweck eingerichteten Sonderbehörden sollten aufgrund des unmittelbaren Sachzusammenhangs dafür zuständig sein, die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften zu regeln oder die Gemeinschaftsliegenschaften allenfalls in Einzeleigentum umzugestalten. Dabei war auch über strittige Eigentumsverhältnisse zu entscheiden. 2. Die Abgrenzung des privaten Gemeinschaftsvermögens vom öffentlichen Eigentum der neuen Ortsgemeinde hatte sich in der Praxis als unglaublich schwierige und verwickelte Angelegenheit erwiesen. Der NÖ Landesausschuss hatte zu dieser Problematik in den 70er Jahren des 19. Jhdts mehrjährige Erhebungen in den Gemeinden Niederösterreichs gepflogen und gelangte im Abschlussbericht vom 21. September 1877 u.a. zur Schlussfolgerung, dass auf der Grundlage eines Reichsgesetzes zur Gewährleistung entsprechender „Zivilrechtskompetenzen“ neue Landesbehörden geschaffen werden müssten, welche mit den heiklen Abgrenzungsaufgaben zu betrauen wären. Dabei konnte der Reichsgesetzgeber auf die umfangreiche Untersuchung von Carl Peyrer, k.k. Ministerialrat im Ackerbauministerium, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse (1877), aufbauen. 3. Die neuen Sonderbehörden, die heutigen Agrarbehörden, sollten jene Instanz sein, welche – nach Möglichkeit auf der Grundlage allseitigen Einvernehmens der Beteiligten – verbindlich über die Fragen entscheidet, welche Vermögenschaften privates Gemeinschaftseigentum bestimmter Gemeindeglieder sind („Klassenvermögen“ = „Konsortialvermögen“) und welche Liegenschaften Eigentum der Ortsgemeinde sind. Weiters sollten diese Behörden entscheiden, wer in welchem Ausmaß nutzungsberechtigt ist, wie die Verwaltung gestaltet wird (Regulierung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte) oder ob dieses Vermögen in Einzeleigentum aufzuteilen sei. 4. Bereits in § 12 TRRG 1883 wurde den von diesen Behörden erlassenen Bescheiden und den abgeschlossenen Vergleichen besondere Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitswirkung zuerkannt. Noch deutlicher ist § 14 AgrVG 1950, welcher insbesondere anordnet: „Die Bescheide (Erkenntnisse) der Agrarbehörden und die von ihnen genehmigten Vergleiche (Übereinkommen) haben insbesondere auch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit die Rechtswirkung gerichtlicher Urteile und Vergleiche, …“ 5. Den Gesetzesmaterialen zum TRRG 1883 ist deutlich zu entnehmen, dass der Begriff „Gemeindegut“ im Teilungs- und Regulierungsrecht gerade nicht anhand der Eigentumsverhältnisse definiert ist. Der Reichsgesetzgeber hatte festgestellt, dass umfangreiche Vermögenschaften mit ungeklärten Eigentums- und Nutzungsverhältnissen im Umfeld der neuen politischen Ortsgemeinde existierten. Die historischen Gesetzesmaterialien zum TRRG 1883 verwenden den Begriff „Gemeindegut“ ausdrücklich als Synonym für „Gemeinschaftsgut“ oder „Gemeingut“. Mit den verschiedenen Bezeichnungen wurde keine andere Bedeutung verbunden als diejenige, dass die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an derartigen Liegenschaften unklar seien; die neuen Behörden sollten der Rechtsunsicherheit abhelfen. Dieses anhand von Benützungsverhältnissen definierte „Gemeindegut“ als Gegenstand der agrarischen Operation war jedenfalls von den Generalklauseln des § 1 TRRG 1883 als „agrargemeinschaftliches Grundstück“ erfasst. 6. Einheitlich definieren alle Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetze aus dem Zeitraum 1884 bis 1921, die Ausführungsgesetze zum TRRG 1883, Gemeinschaftsliegenschaften, welche in Anwendung der Gemeindeordnung verwaltet oder benützt werden, als Gegenstand der „agrarischen Operation“. Auch das „gemeinderechtliche Gemeindegut“ war somit der sachlichen Zuständigkeit der Agrarbehörde in Anwendung des Teilungs- und Regulierungsrechts unterworfen. 7. Ganz überwiegend legitimieren die Ausführungsgesetze zum TRRG 1883 die faktische Verwaltung von Klassenvermögen (= „Konsortialvermögen“) in den Organen der politischen Ortsgemeinde. Nach diesen Gesetzen sollte eine Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften „in Anwendung der Gemeindeordnung“ fortgeführt werden. Die Agrarbehörden sollten, wenn die jeweilige Ortsgemeinde bereits die Funktion des Verwaltungs- und Streitentscheidungsgremiums übernommen hatte, lediglich nötige Ergänzungen zur Gemeindeordnung erlassen. Eine körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft ist unter solchen Umständen unterblieben; auch wurde nicht über die Eigentumsverhältnisse an der betreffenden Gemeinschaftsliegenschaft entschieden. Entsprechende Gesetzesgrundlagen finden sich schon im ältesten Ausführungsgesetz zum TRRG 1883 aus dem Jahr 1884 (Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetz für die Markgrafschaft Mähren), genauso in den Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetzen des Jahres 1909 für die „Kronländer“ Steiermark, Oberösterreich und Tirol. Die TRLGs kannten somit drei Varianten der Regelung von Gemeinschaftsliegenschaften: die Teilung, die Regulierung der Nutzungsrechte mit Regulierung der Verwaltung (körperschaftliche Einrichtung samt Eigentumsentscheidung) und Regulierung der Nutzungsrechte mit Regelung der Verwaltung durch Ergänzung der Gemeindeordnung. 8. Die Teilungs- und Regulierungs-Landesgesetze der Jahre 1884 bis 1921 geben nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass diese Gesetze vom Konzept des Reichsgesetzgebers 1883 abweichen wollten, wonach Gemeinschaftseigentum vom Alleineigentum der politischen Ortsgemeinden abzugrenzen wäre. Die These, wonach im Zuge der Regulierung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte Eigentum in einen Anteil an der Agrargemeinschaft zu „verwandeln“ gewesen wäre, entbehrt ebenso jeder Grundlage wie die These, dass nach Flurverfassungsrecht Gemeindeigentum aufzuteilen oder auf eine Agrargemeinschaft zu übertragen wäre. 9. Mit dem Grundsatzgesetz betreffend die Flurverfassung aus dem Jahr 1932 wurde in Bezug auf die Regulierung der Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften ein Paradigmenwechsel vollzogen: Der Umstand, dass Gemeinschaftsliegenschaften ohnehin bereits „in Anwendung der Gemeindeordnung“ verwaltet wurden, war nicht länger ein rechtliches Hindernis „zur Regulierung der Verwaltungsrechte“ an diesen. Unter einem wurde die Aufgabe der Agrarbehörde zur Entscheidung über die „Eigentums- und Besitzverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften“ im Grundsatzgesetz 1932 besonders betont. Die Landesausführungsgesetze zum FlVerfGG 1932 verpflichten die Agrarbehörde in jedem Fall der Regulierung der Verwaltungsrechte auch über die Eigentumsverhältnisse am Regulierungsgebiet zu entscheiden. 10. Das Anteilsrecht der Ortsgemeinde an einer Agrargemeinschaft richtete sich seit Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 ausschließlich nach den Nutzungsverhältnissen. Insoweit die Ortsgemeinde an der Nutzung der Gemeinschaftsliegenschaft teilgenommen hatte, stand ihr ein walzendes Anteilsrecht zu. Ohne eine Teilnahme an der Nutzung der Gemeinschaftsliegenschaft war die Zuerkennung eines walzenden Anteilrechts nicht vorgesehen. Die Eigentumsverhältnisse an der Gemeinschaftsliegenschaft standen in keinem Zusammenhang mit den Anteilsrechten an der Agrargemeinschaft. Anteilsrecht und Eigentumsrecht waren getrennt zu beurteilen. Das Teilungs- und Regulierungsrecht vermittelt keinen Eigentumstitel zu Gunsten einer Agrargemeinschaft, genauso wenig wie das Gemeinderecht einen Eigentumstitel zu Gunsten der Ortsgemeinde vermittelt. 11. Nach der in Tirol geltenden Rechtslage im Zeitraum 1935 bis 1978 (TFLG 1935 bis TFLG 1978) begründete das Eigentumsrecht an der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft gerade kein Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft. Insbesondere war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen, dass die Agrarbehörde das Eigentumsrecht an der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft sozusagen in einem Zwangstauschverfahren in einen Anteil an den Nutzungen in der regulierten Agrargemeinschaft umgestalten sollte. Die Befürchtung, dass der Eigentümer sein Eigentum – auch nur teilweise – im Verfahren auf Teilung von Gemeinschaftsliegenschaften oder Regulierung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte zu Gunsten einer Agrargemeinschaft verlieren könnte, entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage. 12. Die These, dass die Agrarbehörde die Eigentumsverhältnisse verändern würde, ist mit Blick auf die Entscheidungen der Agrarbehörden über die Eigentumsverhältnisse entstanden. Die historischen Gemeinschaftsliegenschaften waren in den öffentlichen Büchern – verständlicherweise – nicht als „agrarische Gemeinschaften“ erfasst, sondern unter den verschiedensten Bezeichnungen, in Tirol u.a. unter den Bezeichnungen „Fraktion“, „Gemeinde“, „politische Gemeinde“. Eine Entscheidung über die wahren Eigentumsverhältnisse, welche zu Gunsten der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft ausgegangen ist, wurde insbesondere von den lokalen Akteuren regelmäßig mit einer „Eigentumsübertragung“ verwechselt. Dies ungeachtet der Tatsache, dass dieser „festgestellte Eigentümer“ schon nach dem Wortlaut der Feststellungsentscheidung über die wahren Eigentumsverhältnisse seit je her wahrer Eigentümer war. 13. Das Erk VfSlg 9336/1982 setzt sich über grundlegende Zusammenhänge des Flurverfassungsrechts hinweg, insbesondere über die zwingend den Agrarbehörden überbundene Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften. Wäre im Erk diese „Zentralkompetenz“ der Agrarbehörden berücksichtigt und der Blick auf die Tatsache gerichtet gewesen, dass seit dem FlVerfGG 1932 im jedem Regulierungsverfahren zwingend über die Eigentumsfrage zu entscheiden war, hätte keine Veranlassung bestanden, den Tatbestand „Gemeindegut“ als agrargemeinschaftliches Grundstück wegen (angeblicher) Gleichheitswidrigkeit aus dem Gesetz zu beseitigen. 14. Das Erk VfSlg 9336/1982 übergeht die historisch unbestreitbare Tatsache, dass der Gesetzgeber im Bodenreformrecht mit dem Begriff „Gemeindegut“ Liegenschaften erfassen wollte, deren Nutzungs- und Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Wem das Eigentumsrecht zustand, war im Agrarbehördenverfahren insbesondere nach Zivilrecht zu klären. Als Ergebnis der Eigentumsprüfung stand fest, ob im konkreten Einzelfall Eigentum einer Ortsgemeinde oder Eigentum der Agrargemeinschaft vorlag und wer nutzungsberechtigt ist. 15. Vor dem Hintergrund, dass die rechtskräftigen Entscheidungen der Agrarbehörde durchaus unterschiedlich ausgefallen sind (es liegen Entscheidungen vor, wonach das Eigentum am „Gemeindegut“ der Ortsgemeinde zusteht, nach anderen wiederum der Agrargemeinschaft), wird deutlich, dass die seinerzeitigen Überlegungen im Erk VfSlg 9336/1982, wonach die Einbeziehung des Gemeindeguts in die Ordnung der agrargemeinschaftlichen Verhältnisse die Gefahr berge, dass die Ortsgemeinde ihres Eigentums verlustig gehe, jeder Grundlage entbehrte. Nur der „Scheineigentümer“, der nicht titulierte Tabularbesitzer, ging seiner (Schein-)Rechtsposition verlustig, weil die Agrarbehörde die wahren Eigentumsverhältnisse festzustellen und gegebenenfalls das Grundbuch richtig zu stellen hatte. Wenn im Erk VfSlg 9336/1982 unterstellt wird, Eigentum der Ortsgemeinde würde einer Agrargemeinschaft „zugeordnet“, so wird schlicht der Inhalt der historischen Entscheidungen über die Eigentumsverhältnisse verkannt: Die historische Agrarbehörde hatte Eigentum einer Agrargemeinschaft gemeint und dieses mit dem Begriff „Gemeindegut“ bezeichnet. 16. Entgegen dem leicht erweislichen Willen des historischen Gesetzgebers wurde im Erk VfSlg 9336/1982 unterstellt, dass das Flurverfassungsrecht die Teilung ohne Differenzierung danach ermöglichen würde, wer sich als wahrer Eigentümer einer agrargemeinschaftlichen Liegenschaft erweise. Das Erk VfSlg 18.446/2008 baut auf den Missverständnissen im Erk VfSlg 9336/1982 auf. Zusätzlich wurde der „Systemfehler“ begangen, den Begriff des Gemeindeguts in historischen Behördenbescheiden nicht nach dem historischen Gesetzesverständnis zu interpretieren. Überträgt man die Sichtweise des Erk Slg 9336/1982 von „Gemeindegut“ als Gut im Eigentum einer Ortsgemeinde unreflektiert in historische Bescheide der Agrarbehörden, so muss dies zwangsläufig zu Fehlbeurteilungen führen. Die Tatsache, dass die Agrarbehörde im Einzelfall distinktiv entschieden hat, wer Eigentümer der als „Gemeindegut“ angesehenen Liegenschaft sei und wer nicht, wurde im Erk VfSlg 18.446/2008 neuerlich verkannt. 17. Das Erk VfSlg 9336/1982 hatte anhand eines Rückgriffes auf die Gemeindeordnungen des 19. Jhdts die Behauptung aufgestellt, dass die Rechtsverhältnisse am Gemeindegut ausschließlich im Gemeinderecht geregelt seien. Die auf der Grundlage der geltenden Verfassung (Art 12 B-VG) gestalteten heutigen Gemeindeordnungen wurden ausgeblendet. Die Rechtstatsache, dass die Gemeindeordnungen der Länder ab dem Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 das in agrargemeinschaftlicher Nutzung stehende Gemeindegut der Kompetenz der Agrarbehörden zur (reformatorischen) Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zuweisen, wurde nicht einmal angesprochen. Die das Erk tragende falsche Behauptung, dass die Gemeindeordnungen das Gemeindegut als Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden, steht im offenen Widerspruch mit Art 12 B-VG. 18. Weil das Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung der Materie „Bodenreform“ (Art 12 B-VG) zuzuordnen ist, welche durch das Gesetz betreffend die Grundsätze der Flurverfassung 1932 erfasst ist, mussten die Gemeindeordnungen, wollten diese weiterhin Regelungen betreffend des Gemeindegut definieren, deren Anwendungsbereich zum Flurverfassungsrecht abgrenzen. Gemeindegut im Allgemeinen wurde vom Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung differenziert; hinsichtlich des letzteren wurde klargestellt, dass dieses dem Flurverfassungslandesrecht unterliegt (Oberösterreich, Tirol, Steiermark, Vorarlberg). Insoweit die Flurverfassungslandesgesetze noch vor den Novellen zur Gemeindeordnung in Kraft getreten waren, hat man überhaupt auf weitere Regelungen zum Gemeindegut in den Gemeindeordnungen verzichtet (Niederösterreich, Salzburg). 19. Das Bild der „atypischen Gemeindegutsagrargemeinschaft“ ist aus einer Summe von Missverständnissen entstanden. Daraus entwickelte sich der heutige Agrarstreit in Westösterreich um den Substanzwert der sog. „Gemeindegutsagrargemeinschaften“. Der Blick auf die einzelnen Regulierungsverfahren zeigt jedoch, wie die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegutsagrargemeinschaften“ wirklich gestaltet sind: Die historische Agrarbehörde hat über den Eigentümer entschieden. In manchen Fällen wurde die Ortsgemeinde als Eigentümerin des Gemeindeguts festgestellt; in der Mehrzahl der Fälle die Agrargemeinschaft. „Atypisches Eigentum“ ist weder aus den Behördenentscheidungen hervorgegangen, mit denen Gemeindegut im Eigentum einer Ortsgemeinde festgestellt wurde, noch aus den Behördenentscheidungen mit denen Gemeindegut im Eigentum einer Agrargemeinschaft festgestellt wurde. 20. Ein neues Anteilsrecht der Ortsgemeinde auf „Substanzwert“ würde voraussetzen, dass der „Substanzwert“ des agrargemeinschaftlichen Vermögens herrenlose Sache war, welche die Ortsgemeinde okkupieren könnte. Der „Substanzwert ist freilich Teil des Eigentums am agrargemeinschaftlichen Grundstück. Mit Rechtskraft der Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse zu Gunsten der Agrargemeinschaft wächst jedoch das Eigentum jedem Anteilberechtigten (anteilig) zu. Einem neuen (alten?) Anteilsrecht lautend auf “Substanzrecht“, welches in diesen Bescheiden nicht aufscheint, steht die Rechtskraft dieser Bescheide entgegen.

KERNPUNKT DER KRITIK AN VfSlg 9336/1982

Aus: „Josef Kühne/Bernd Oberhofer, Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde – zugleich eine Besprechung des Erk VfSlg 9336/1982, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 2011, 237ff. Im Erk VfSlg 9336/1982 wurde der Begriff „Gemeindegut“ im Teilungs- und Regulierungsrecht der Flurverfassung als Gut im Eigentum der politischen Ortsgemeinde verstanden, auf welchem Nutzungsrechte von Gemeindegliedern lasten. Dies, aufgrund einer Interpretation des § 15 Abs 2 lit d FlVerfGG 1951 in dem Sinne, dass diese Gesetzesstelle zur Klarstellung des Begriffes „Gemeindegut“ auf die Bestimmungen der Gemeindeordnungen verweise, welche sämtliches Gemeindegut als ein Gut im Eigentum der Ortsgemeinde definieren würden. Das traditionell eigenständige Begriffsbild von Gemeindegut im Bodenreformrecht, welches sich ausschließlich auf Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung bezieht, konnte der Gerichtshof zwar nicht leugnen. VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 2 Abs 1 der Begründung: „Der VfGH ist mit der Vlbg. Landesregierung aber auch der Meinung, dass das Bild des Gemeindegutes, das den Bodenreformgesetzes zugrunde liegt, ein völlig anderes ist. Grundsatzgesetz wie Ausführungsgesetz behandeln das Gemeindegut im Ergebnis wie eine einfache agrargemeinschaftliche Liegenschaft, die im Eigentum der Nutzungsberechtigten (oder der von ihnen gebildeten Gemeinschaft) steht. Dieses – im gemeinderechtlichen Befund nicht gedeckte – Bild der Bodenreformgesetze ist es, von dem auch die Tir. Landesregierung in ihrer Äußerung ausgeht; sie verkennt dabei allerdings, dass man bei diesem Bild nicht haltmachen darf, sondern auf die Regelungen des Gemeinderechtes zurückgreifen und die Auswirkung der mangelnden Übereinstimmung untersuchen muss.“ Trotzdem wurde dem agrarrechtlich geprägten Tatbestand „Gemeindegut“ der flurverfassungsgesetzliche Anwendungsbereich entzogen. VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 2 Abs 1 der Begründung: „Dieses – im gemeinderechtlichen Befund nicht gedeckte – Bild der Bodenreformgesetze ist es, von dem auch die Tir. Landesregierung in ihrer Äußerung ausgeht; sie verkennt dabei allerdings, dass man bei diesem Bild nicht haltmachen darf, sondern auf die Regelungen des Gemeinderechtes zurückgreifen und die Auswirkung der mangelnden Übereinstimmung untersuchen muss.“ Doch schon seit dem Gesetz vom 07. Juni 1883 betreffend das Teilungs- und Regulierungsrecht für agrargemeinschaftliche Liegenschaften (TRRG 1883) wurde mit dem Begriff „Gemeindegut“ agrargemeinschaftlicher Besitz mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen in Verbindung gebracht. „Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung“ sollte den „agrarischen Operationen“ unterliegen und galt als einer der Tatbestände, anhand derer der Anwendungsbereich des Teilungs- und Regulierungsrechts definiert war. Als operatives Verfahrensergebnis sollte die Verwaltung der agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften (einschließlich des Gemeindegutes in agrargemeinschaftlicher Nutzung) reformatorisch gestaltet und die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an den agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften geklärt werden. Dieses Verständnis vom Anwendungsbereich des Teilungs- und Regulierungsrechts wurde dem Tatbestand „Bodenreformrecht“ gem Art 12 B-VG zu Grunde gelegt. Mit Inkrafttreten des FlVerfGG 1932 und der Ausführungsgesetze dazu rückte der Gedanke weiter in den Vordergrund, eindeutige Rechtsverhältnisse zu schaffen. In jedem einzelnen Regulierungsfall waren die Eigentumsverhältnisse an der betreffenden agrargemeinschaftlichen Liegenschaft zu erheben und war darüber feststellend mit Bescheid abzusprechen. Dies insbesondere auch im Fall von Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung, dessen rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse in dem durch Art 12 B-VG definierten Verfassungsrahmen gerade nicht durch die Gemeindeordnungen geregelt werden konnten, sondern nur nach Flurverfassungsrecht in Vollziehung durch die Agrarbehörden. Das Verständnis von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut als ein Gut, welches (angeblich) notwendig im Eigentum einer Ortsgemeinde stehen müsse, wird dem historischen Flurverfassungsrecht somit keinesfalls gerecht. Die aus der geschichtlichen Entwicklung leicht erweisliche Erklärung, wonach im Teilungs- und Regulierungsrecht gerade auch Eigentum der Agrargemeinschaft als „Gemeindegut“ (in agrargemeinschaftlicher Nutzung) bezeichnet wurde, blieb unbeachtet. Ungewürdigt blieb auch die gesetzliche Aufgabenstellung für die Agrarbehörde, die wahren Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaften – seien diese als „Gemeindegut“, „Gemeinschaftsgut“ oder wie auch immer bezeichnet worden – festzustellen und darüber bescheidmäßig abzusprechen. Das agrargemeinschaftlich genutzte Gemeindegut definierte sich als ein Tatbestand der Bodenreform mit der Zuständigkeit der Agrarbehörde und präsentierte sich in der Folge als Substrat für ein Verfahren nach dem Teilungs- und Regulierungsrecht. Mögliche Verfahrensergebnisse waren mit der Annahme des Zuständigkeitstatbestandes „Gemeindegut“ keinesfalls vorweg genommen. Dieser rechtliche Ansatz spiegelt sich auch ganz in der seinerzeitigen Judikatur der Tiroler Agrarbehörden. So hatte der Landesagrarsenat unter dem Vorsitz von Andreas Saxer im Jahre 1969 entschieden, dass das zweite Hauptstück des TFLG unter der Überschrift `Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken´, einleitende Bestimmungen enthalte, die im Zuge aller nach diesem Hauptstück durchzuführenden Bodenreformmaßnahmen anzuwenden seien. Es würde sich aus den einleitenden Normen des 2. Hauptstückes des TFLG (§ 36 Abs. 2 lit. d und § 38 Abs. 1 und 7 TFLG) die Aufgabe der Agrarbehörde ergeben, im Zuge des Regulierungsverfahrens festzustellen, welche Grundparzellen agrargemeinschaftlich genutztes Gemeindegut seien und wem diese gehören würden. Diese Kompetenz der Agrarbehörde zur Entscheidung der (allenfalls) strittigen Vorfrage, wer Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft sei, war ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. Vgl nur aus der historischen Debatte im Reichsrat aus Anlass der Verabschiedung des TRRG 1883 – vgl etwa die Ausführungen des Regierungsvertreters Ministerialrat Ritter von Rinaldini: „Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage, und zwar eine Frage, die nicht bloß merital schwierig zu lösen ist, sondern schon dann Schwierigkeiten bietet, wenn man einfach um die Kompetenz frägt, wenn man sicheren Aufschluss haben will, wer eigentlich kompetent sei, in dieser Frage zu entscheiden?“ (Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, IX. Session, 9221). Nur wenn Eigentum der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft in einer der Rechtskraft fähigen Form festgestellt wurde, ergab sich daraus als Konsequenz die „Umgründung“ von historischem Gemeinschaftseigentum in eine körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaft. Und nur wenn von Eigentum der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft ausgegangen werden konnte, bestand die Möglichkeit auf Teilung desselben unter den Teilgenossen zu erkennen.

 

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Max Paua