EINE GEMEINDE DER NUTZUNGSBERECHTIGTEN
VwGH 30.6.2011 Zl 2010/07/0091, 6.3.2. aE (Obergarten-Erk):
Der Verwaltungsgerichtshof anerkennt, dass der Begriff „Gemeinde“ entweder „politische Ortsgemeinde“ bedeute oder dass der Begriff „Gemeinde“ die Bezeichnung für „die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer“ sei. Im Einzelfall sei deshalb zu prüfen und zu entscheiden, welcher Gemeindebegriff in der zu prüfenden Gesetzesbestimmung zu Grunde gelegt ist.
Der Verwaltungsgerichtshof: Der Verfassungsgerichtshof wies im Erkenntnis VfSlg 9336/1983 darauf hin, dass es die Erscheinung gebe, dass „die Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei.
Der Verwaltungsgerichtshof weiter: Bei den vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 9336 gemeinten Bestimmungen des Flurverfassungsrechtes, die eine „Gemeinde als Summe der Nutzungsberechtigten“ voraussetzen, handelt es sich um die Bestimmung des § 15 Abs. 2 lit. c FGG. Die Bestimmung handelt von einer „Gemeinde“ („Ortschaft“), der im Zuge einer Servitutenablösung Eigentum übertragen wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof weiter: In gleicher Weise setzt die Bestimmung des § 15 Abs. 1 lit. b FGG einen Gemeindebegriff voraus, wonach „die Gemeinde“ die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümern ist.
Hinweis:
§ 15 Abs. 1 lit. b FGG lautet:
(1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind jene, … b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde (Ortschaft), einer oder mehrerer Gemeindeabteilungen (Ortsteile), Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitz verbundenen Mitgliedschaft oder von den Mitberechtigten an Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benutzt werden.
Der VwGH hat damit im Erkenntnis 30.6.2011 Zl 2010/07/0091 (Obergarten-Erkenntnis) ausdrücklich anerkannt, dass
a) im Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951 der Begriff „Gemeinde“ auch in dem Sinn einer „Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten“ (beispielsweise eine „Realgemeinde“) verwendet wird,
b) im Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951 gleich zwei Gesetzesregelungen einen Gemeindebegriff im Sinn von „Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten“ voraussetzen.
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ALT-ERKENNTNIS VWSLG 3560/A OBSOLET
Ausgedient hat damit das (Alt-)Erkenntnis VwGH 11.11.1954 VwSlg 3560/A:
Danach soll eine Gemeinde, die keine politische Ortsgemeinde ist, lediglich den Versuch einer juristischen Konstruktion darstellen, die im Gesetz keinerlei Deckung finden würde.
Ausgedient hat damit die unbegründete Behauptung im (Alt-)Erkenntnis VwGH 11.11.1954 VwSlg 3560/A, dass nach dem Sprachgebrauch der Österreichischen Gesetzgebung unter dem Ausdruck „Gemeinde“ grundsätzlich die politische Gemeinde zu verstehen sei.
Wie der VwGH im Erkenntnis 30.6.2011 Zl 2010/07/0091 (Obergarten-Erk) – anknüpfend an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 9336/1982 – klar gestellt hat, gibt es im Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetz 1951 gleich zwei Gesetzesregelungen, in denen der Gesetzesbegriff „Gemeide“ für eine „Gemeinde, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten“ steht!
Was für das Grundsatzgesetz gilt, gilt natürlich auch für die Flurverfassungs-Landesgesetze, die die betreffenden Tatbestände des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes wörtlich übernommen haben.
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Im so genannten „Unterlangkampfen-Erk“ des Verfassungsgerichtshofes vom 12.10.2010 VfSlg 19.262/2010 (Berichtererstatter Verfassungsrichter Dr. Willibald Liehr), hatte der VfGH wesentliche Grundsätze vorgegeben, wie ein „atypisches Gemeindegut“ im konkreten Einzelfall von der Behörde zu ermitteln sei. Die Einzelfallentscheidung über das Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen hatte der VfGH in diesem Erkenntnis jedoch als Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes angesehen und den Rechtsfall an diesen Gerichtshof überwiesen.
Bekanntlich hat der Verwaltungsgerichtshof in der Folge die Einzelfallbeurteilung eines „atypischen Gemeindegutes“ nicht anhand dieses ursprünglich „führenden“ Falles „Agrargemeinschaft Unterlangkampfen“ gelöst, sondern anhand des Falles der Außerferner Agrargemeinschaft Obergarten, Lermoos. Der Verwaltungsgerichtshof entwickelte in diesem „Leit-Erk“
Der Verwaltungsgerichtshof: VwGH 30.6.2011 Zl 2010/07/0091, 6.3.2. aE (Obergarten-Erkenntnis):
Der Verfassungsgerichtshof wies im damaligen Erkenntnis [VfSlg 9336/1983] darauf hin, dass es die Erscheinung gebe, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei, dass diese Erscheinung aber nicht von den Gesetzesbestimmungen betreffend das Gemeindegut, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst werde. Bei diesen vom Verfassungsgerichtshof genannten „anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechtes“ handelt es sich – neben den vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich genannten Grundstücken des § 15 Abs. 2 lit. c FGG (Grundstücke, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind), die einen Sonderfall darstellen – um die Grundstücke nach § 15 Abs. 1 lit. b FGG.
Für folgende Tatbestände des FGG Flurverfassungs-Grundsatz-Gesetzes (FGG) hat der Verwaltungsgerichtshof sohin erst im Jahr 2011 (!) ausdrücklich anerkannt, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer sei: § 15 Abs. 2 lit. c FGG und § 15 Abs. 1 lit. b FGG.
§ 15 Abs. 1 lit. b FGG lautet:
(1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind jene, … b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde (Ortschaft), einer oder mehrerer Gemeindeabteilungen (Ortsteile), Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitz verbundenen Mitgliedschaft oder von den Mitberechtigten an Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benutzt werden
§ 15 Abs. 2 lit. c FGG lautet:
(2) Zu diesen Grundstücken sind, unbeschadet der Rechte aus einer bereits vollendeten Ersitzung, ferner zu zählen: … c) Grundstücke, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten einer Gemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind,
VERFASSUNGSGERICHTSHOF GIBT VOR
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, bei der der Verwaltungsgerichtshof mit deisem Rechtssatz anknüpft stammt bereits aus dem Jahr 1982.
Verfassungsgerichtshof, VfGH Slg 9336/1982, Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung:
„Das Gemeindegut wird in beiden zu prüfenden Bestimmungen neben den … Grundstücken genannt, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (statt den Servitutsberechtigten als Einzeleigentümer) einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Nutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind.“ Es „ist daher die … Erscheinung, dass `die Gemeinde´ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, […] von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, […]“ – weshalb das Gemeindegut von den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, die aus Servitutenablösung herstammen, streng zu trennen ist.
Der Verfassungsgerichtshof hatte somit bereits im Jahr 1982 klar gestellt, dass es das Gesetzesphänomen gibt, wonach der (unbestimmte) Rechtsbegriff „Gemeinde“ gerade nicht eine politische Ortsgemeinde im heutigen Sinn bedeute. Vielmehr hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 1982 anerkannt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch die „Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer“ sein könne. Ausdrücklich hat der Verfassungsgerichtshof das anerkannt für „Gemeinden, denen im Zuge einer Servitutenablösung eine Liegenschaft als Ablöseleistung für den Verzicht auf die Servitutsrechte (im Staatsforst) zugesprochen wird.
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SALZBURGER LANDESREGIERUNG GIBT VOR
Veranlasst hat diese vertiefenden Ausführungen des VfGH die Salzburger Landesregierung. Diese hatte folgende Erinnerungen zu den Überlegungen des VfGH im Gesetzesprüfungsverfahren erstattet:
Die Salzburger Landesregierung verweist darauf, dass in Sbg. im Zuge der Servitutenablösung Waldgrundstücke nicht an einzelne Gemeindeinsassen, sondern (formell) nur an ganze Gemeinden abgetreten wurden. Es handle sich aber nicht um Gemeinde-, sondern um Gemeinschaftswälder, sodass später das Eigentum den aus den Nutzungsberechtigten gebildeten Agrargemeinschaften zugesprochen worden sei. Das sei nicht gleichheitswidrig, weil die Grundflächen als Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald an die Gemeinden abgetreten worden sei [en].
Äußerung der Salzburger Landesregierung, wiedergegeben im Erk VfGH Slg 9336/1982 Pkt I Z 4 der Begründung.
Die Salzburger Landesregierung hatte somit bereits aufgezeigt, dass es im Grundbuch in Salzburg Erscheinungen geben würde, die „Gemeinde“ genannt würden, die aber keine „Gemeinden“ im Sinn von heutigen politischen Ortsgemeinden sein würden. Das Eigentum, das unter der Bezsichnung „Gemeinde“ erfasst worden sei, sei nämlich als „Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald abgetreten worden“; es könne sich deshalb um keine „Gemeindewälder“ im Sinn von Gemeindegut handeln, sondern nur um Gemeinschaftswälder jener, die ihre Nutzungsrechte im Staatswald aufgeben mussten!
Der Verfassungsgerichtshof hat diesen Ausführungen zugestimmt! Seither ist für die Gemeinschaftswälder der Salzburger Agrargemeinschaften anerkannt, dass diese nicht aus Gemeindegut herstammen! Nichts anderes darf für alle jene Tiroler Agrargemeinschaften gelten, die aus Servitutenablösung, insbesondere aus der Tiroler Forstservitutenablösung der Jahre 1847 bis 1849 in Nordtirol hervorgegangen sind.
MESSEN MIT ZWEIERLEI MASS
Unverständlicher Weise wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen, wenn ein „atypisches Gemeindegut“ identifiziert werden soll. Während für das Bundesland Salzburg berücksichtigt wird, wenn agrargemeinschaftliches Gut aus einer Servitutenablösung hervorgegangen ist, soll dieser Umstand in Tirol ohne Relevanz sein. Die Tiroler Agrarbehörde stellt sich auf den Standpunkt, dass aus der Tiroler Forstregulierung 1847 generell das Gemeindeeigentum an den Wäldern (= Gemeindegut) hervorgegangen sei und der Verwaltungsgerichtshof behauptet, dass die Eigentumsverhältnisse ohnehin keine Rolle spielen würden. Maßgeblich für das Vorliegen von „atypischem Gemeindegut“ sei die (historische) „Qualifizierung durch die Agrarbehörde“. Der Einwand, dass die historische Agrarbehörde – aus heutiger Sicht – zu Unrecht ein „Gemeindegut qualifiziert“ habe, wird nicht zugelassen! (Ausführlich dazu: www.agrar-info.at/blog/feststellung-eines-atypischen-gemeindeguts/)
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Literaturhinweise: :
Pernthaler, Die Rechtsnatur der Agrargemeinschaften, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 258 ff;
Ehrenzweig, System I/2 Sachenrecht (1923), 388; ders, System I/1 (1925), 183: „Es gibt landwirtschaftliche Grundstücke, deren Nutzung den Besitzern gewisser behauster Grundstücke gemeinschaftlich für die Zwecke ihrer Einzelwirtschaften zusteht. Solche Agrargemeinschaften sind zum Teil erst in neuerer Zeit bei der Servitutenablösung dadurch entstanden, dass man einer Gesamtheit von Berechtigten Abfindungsgrundstücke zur gemeinschaftlichen Nutzung abgetreten hat“;
Klang in Klang, ABGB II², 608: „Gewöhnlich sollen Wald- und Weidegrund allen Berechtigten gemeinsam abgetreten werden. Dadurch entstehen Agrargemeinschaften“;
Hoegel, Aus der Grundbuchspraxis, JBl 1885, 592;
Reich, Die Alpengenossenschaften und das neue Grundbuch, Österreichische Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit, 1886, 141 ff; 155 ff uam.
MP