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Kaiser Franz Joseph I., Franz Joseph Karl von Österreich (* 18. August 1830 auf Schloss Schönbrunn; † 21. November 1916 ebenda), aus dem Haus Habsburg-Lothringen war von 1848 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 Kaiser von Österreich. „Bodenreform“ (Commassion = Zusammenlegung und Neuverteilung von Einzeleigentum in Streulage sowie Teilung von Gemeinschaftsland und Regulierung von Gemeinschaftsland als Agrargemeinschaft) war ein zentrales Anliegen der kaiserlichen Gesetzgebung in den 1870er und 1880er Jahren. Vor allem die Länder Niederösterreich und Kärnten haben ca ab Mitte der 1870er Jahre gehörig Druck gemacht, um die Reichsgesetzgebung zum Handeln zu bewegen. Im Jahr 1883 verabschiedete der Reichrat schließlich die so genannten „drei agrarischen Reichsgesetze“, von denen hier das Teilungs- Regulierungs-Reichsgesetz besonders interessiert. Die „reformatorische Entscheidung“ über die Rechtsverhältnisse am „Gemeindegut“ war wesentliches Anliegen dieses Gesetzes. Sanktioniert wurde dieses Gesetz von Kaiser Franz Josef. Die Aufteilung von Gemeindegut in Einzeleigentum der Stammsitzeigentümer und die Regulierung des Gemeindeguts als Eigentum von Agrargemeinschaften war somit von niemandem geringeren als vom Kaiser persönlich verantwortet. Es war kaiserlicher Wille! Weil mit der alten Eigentümerbezeichnung „Gemeinde“ nur die Nachbarschaft der Stammsitzeigentümer gemeint war, war dieser kaiserliche Wille nur gerecht und billig.

 

Inhalt:
Einleitung
Der Kaiser war´s
NÖ: Motor einer Rechtsentwicklung
Böhmen: Privateigentum anerkannt
Urteil der Rechtswissenschaft
a) Carl Peyrer v. Heimstätt
b) Julius Weiske
Klarstellung bei Grundbuchanlegung?
Literarische Diskussion
Gemeinschaftsgut oder Gemeindegut?
Bevorzugung der Gemeinde
Praktische Schwierigkeiten

 

EINLEITUNG

Die Gegner des agrargemeinschaftlichen Eigentums versuchen die Regulierung des „Gemeindeguts“ als das Wirken dunkler Kräfte hinzustellen – dunkle Kräfte, die gerade und insbesondere in Tirol die politischen Ortsgemeinden ausgeraubt und bestohlenhätten. 

Verständlich, dass diese Leute die wahren Grundlagen für die Teilung und Regulierung der so genannten „Gemeindegründe“ im Dunkeln halten wollen. Niemand soll wissen, dass die Aufteilung von Gemeindegut zu Einzeleigentum schon zur Zeit der Monarchie dem Gesetz entsprach. Es entsprach dem Gesetz, weil  die gemeinschaftlich genutzten „Gemeindegründe“ ein Eigentum der Nutzungsberechtigten sind. 

Und niemand soll wissen, dass die „Commassionsbehörde“  (= heute Agrarbehörde) bereits zur Zeit der Monarchie in allen Angelegenheiten der Bodenreform zuständig war – einschließlich agrarische Operationen am so genannten „Gemeindegut“  war.

Insbesondere soll niemand wissen, dass im Reichsrat der Monarchie, wo Anfang der 1860er Jahre das moderne Gemeinderecht geschaffen worden ist, die allgemeine Auffassung bestand, dass ein so genanntes „Gemeindegut“ gerade kein Eigentum der modernen Ortsgemeinden sein könne. Die Regierungsvorlage für ein Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz, der Bericht des Commassionsausschusses und schließlich die Debattenbeiträge der Abgeordneten bei Beschlussfassung über das Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz 1883 sprechen eine eindeutige Sprache!

Die Gesetzesquellen aus der Zeit der Monarchie, als das moderne Gemeinderecht und das Flurverfassungsrecht geschaffen wurde, machen deutlich, dass das Gemeindegut kein wahres Eigentum der politischen Ortsgemeinden war.

In Tirol versuchen die Gegner des agrargemeinschaftlichen Eigentums die Aufteilung und Regulierung von Gemeindegut als Erfindung von Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer hinzustellen – oder als Erfindung der Nazis! Tatsächlich wurden die Gesetze zur Regulierung und Teilung des Gemeindegutes in der Zeit der Monarchie geschaffen – von demselben Gesetzgeber, der das moderne politische Gemeinderecht geschaffen hat.

Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat im „Altenstadt-Eggenwald-Erkenntnis“ von 1982 seine gesetzesfremde These vom Gemeindegut als Eigentum der modernen Ortsgemeinde aufgestellt, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Rechtsquellen zum Flurverfassungsrecht auseinander zu setzen. Die Vernachlässigung  sämtlicher Rechtsquellen zur agrarischen Operation am „Gemeindegut“ bzw den „Gemeinschaftsgütern“ ist ein offenkundiger, grober methodischer Fehler dieses „Verkenntnisses“!  

 

DER KAISER WAR´S

Das Reichsrahmengesetz betreffend die Teilung und Regulierung gemeinschaftlicher Grundstücke (Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetz, TRRG 1883), RGBl 1883/94 vom 7.6.1883, wollte einem dringenden Bedürfnis in diversen Kronländern entgegen kommen. Es sollten die Rechtsverhältnisse an Vermögenschaften geregelt werden, die aus der „alten Agrargemeinde“ stammten. So heißt es in den Erläuternden Bemerkungen zum Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1880 betreffend die grundsätzlichen Bestimmungen über die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der bezüglichen Benützungs- und Verwaltungsverhältnisse ausdrücklich, dass die Bestimmungen des § 1 Z 2 (in der Endfassung lit b) des Gesetzesentwurfes diejenigen Grundstücke zum Gegenstande haben, welche als Gemeindegut oder als Gemeingut jener Körperschaften oder Klassen benützt werden, die sich als Überreste der alten Agrargemeinde innerhalb der modernen politischen Gemeinde erhalten haben. (43 der Beilagen zu den sten. Prot. des Herrenhauses, IX. Session, 33)

Entsprechend dem Rechtsverständnis des historischen Gesetzgebers hätten sich demnach die „Überreste der alten Agrargemeinde“ unter den Bezeichnungen „Gemeindegut“ oder „Gemeingut“ bei mannigfaltigsten Eigentums- und Nutzungsverhältnissen innerhalb der modernen (politischen Orts-)Gemeinde erhalten – wobei vorauszusetzen ist, dass der historische Reichsgesetzgeber sich bei dieser Äußerung auf mehrere Kronländer der cisleithanischen Reichshälfte bezog hat. Wesentlich ist dabei eines: Schon die Regierungsvorlage aus dem Jahr 1880 stand auf dem Standpunkt, dass ein „Gemeindegut“ und ein „Gemeingut“ ein und das selbe seinen und dass es sich der Sache nach um  „Überreste der alten Agrargemeinde“  handle!

Bei diesen Rechtsverhältnissen erlaubte das kaiserliche Gesetz die Aufteilung und die Regulierung durch die (damals) so genannte „Commassionsbehörde“, weil diese Behörden in einem ersten Durchgang klären sollten, wem, was gehört. Das Eigentum der Nutzungsberechtigten, dh heute „die Agrargemeinschaft“,  sollte aufgeteilt oder reguliert werden. Dies, weil ein Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten vorausgesetzt wurde.
Das Eigentum der neuen, politischen Ortsgemeinde sollte freilich in einem ersten Durchgang ausgeschieden werden! (s dazu: Die Agrarbehörde entscheidet über Eigentum)

 

NÖ: MOTOR EINER RECHTSENTWICKLUNG

Eine der Wurzeln des agrargemeinschaftlichen Organisationsrechts in Österreich liegt im Land Niederösterreich, konkret in Petitionen mehrerer Gemeindebürger von Schrattenberg und Reinthal an den Niederösterreichischen Landtag in der ersten Hälfte der 1870er Jahre. In seiner Sitzung vom 17. Oktober 1874 fasste der NÖ Landtag daraufhin den Beschluss, den Landesausschuss mit eingehenden Erhebungen über die Besitz- und Nutzungsverhältnisse an den so genannten Gemeinde- oder Fraktionsgütern zu beauftragen und zu erwägen, ob in dieser Frage besondere gesetzliche Bestimmungen notwendig wären. (Ausführlich dazu: Vorgeschichte in NÖ)

Als der Landesausschuss dazu nach knapp vier Jahren, im September 1878, schließlich einen Gesetzesentwurf samt erläuternden Bemerkungen vorlegte, beschrieb der Ausschuss „eine Aufgabe von solchem Umfange und solcher Schwierigkeit (…), wie sie ihm bis dahin (…) nie gestellt worden“ seiDie „glückliche Lösung“ der gestellten Aufgabe würde jedoch „für zahlreiche Gemeinden des Landes eine außerordentliche Wohlthat sein“. (Bericht des NÖ Landesausschusses 21.09. 1878, XXVII Blg stenProt NÖ Landtag, 5. WP)

Dem Landesausschuss war nach eigenem Bekunden bekannt gewesen, dass „die Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigenthums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar“ seien. Es wäre „keine Woche“ vergangen, „ohne daß in dieser Beziehung Streitigkeiten an den Landesausschuß gebracht“ worden seien. Trotz dieses vorhandenen Wissenstandes hatte man mittels eines an alle Gemeindevertretungen abgeschickten „Circulars“ umfangreiche Erhebungen gepflogen. Dabei wurden diverse Fragen formuliert: ob und welche Liegenschaften sich in der Gemeinde befänden, die entweder laut Grundbuch der Gemeinde gehörten oder ihr nach dem Kataster zur Besteuerung zugewiesen seien, hinsichtlich derer jedoch die Eigentumsverhältnisse in der Gemeinde strittig wären; wenn ja, von wem diese Vermögenschaften verwaltet würden; wer die Steuern bezahle; von wem die Liegenschaften genützt würden und ob diejenigen, welche die Nutzungen beziehen, dafür etwas Besonderes leisten würden. Schließlich war anzugeben, ob Prozesse hierüber geführt wurden; bejahendenfalls waren die ergangenen Erkenntnisse beizuschließen und schließlich der Wert dieser Vermögenschaften anzugeben.
Zu diesem Fragenkatalog sollte der jeweilige Gemeindevorstand im Einverständnis mit dem Gemeindeausschuss Bericht erstatten und – über die Beantwortung der angegebenen Fragen hinausgehend – alles mitteilen, was sonst zur Beurteilung der bestehenden Verhältnisse dienlich wäre.

Die Ergebnisse dieser Umfrage schilderte der Landesausschuss als wenig befriedigend, jedoch keineswegs überraschend, weil „die in Frage stehenden Verhältnisse (…) so verwickelter Natur und so unglaublich unklar“ seien, „daß es den Gemeindevorständen nicht zuzumuthen ist, ohne sehr sachkundige Beihilfe vollständige und klare Berichte zu verfassen“.

Das Konfliktpotential, welches mit dem Untersuchungsgegenstand verbunden sei, leuchtete dennoch aus den Berichten hervor: Je nachdem, ob die Besitzenden oder die Nichtbesitzenden den Gemeindevorstand stellten, wären diese Berichte „entweder zurückhaltend oder tendenziös gefärbt“ gewesen; zuweilen hätte der Landesausschuss auch zwei Berichte aus ein und derselben Gemeinde erhalten, wobei einer von der „in dem Gemeindeausschusse dominierenden begünstigten Classe“ stammte, der andere von den Vertretern der Minorität – beide Berichte hätten sich dann vollständig widersprochen.

Was der NÖ Landesausschuss 1878 für seinen Zuständigkeitsbereich als Erhebungsergebnis festhielt,  ist rückblickend als ein repräsentatives Entwicklungsstadium der Rechtsverhältnisse an den Gemeinde- bzw Gemeinschaftsliegenschaften zu verstehen. Der NÖ Landtag konnte aus diesen Erkenntnissen jedoch keine gesetzgeberischen Konsequenzen ziehen, weil der Landtag von einer zivilrechtlichen Angelegenheit ausging und weil der Landesgesetzgeber auf dem Gebiet des Zivilrechts keine Gesetzgebungskompetenz hatte.

Bericht des NÖ Landesausschuss vom 21.09.1878

BÖHMEN:  PRIVATEIGENTUM ANERKANNT

Über die Verhältnisse im Kronland Böhmen berichtet Karl Cizek in einer Streitschrift aus dem Jahr 1879 von Praktiken, wonach die Mitglieder der „alten Gemeinde“ die Errichtung der neuen politischen Ortsgemeinde in den 1860er Jahren, in welche zahlreiche neue Gemeindeglieder Aufnahme fanden, zum Anlass genommen hätten, die neue politische Ortsgemeinde auf Anerkennung des Eigentumsrechtes an den „Gemeindegründen“ zu Gunsten der Mitglieder der „alten Agrargemeinde“ beim Zivilgericht zu verklagen. Die Glieder der Altgemeinde, in Böhmen „Rustikalisten“ genannt, hätten das Eigentumsrecht aufgrund Ersitzung für sich in Anspruch genommen und seien vor Gericht als wahre Eigentümer anerkannt worden. Die neuen politischen Gemeinden hätten sämtliche Rechtsstreitigkeiten verloren. Die „Rustikalisten“ hätten in der Folge die als ihr Privatrecht erstrittenen „Gemeindegründe“ unter sich aufgeteilt. Beschwerden gegen diese Praxis und gegen derartige Urteile bei den politischen Behörden seien erfolglos geblieben. Cizek, Der Streit um die Gemeindegründe. Eine verwaltungsrechtliche Studie, Prag 1879)

Diese Episode böhmischer Gemeindewirtschaft fand sogar in den Debatten der Abgeordneten bei der Beschlussfassung über die drei Agrargesetze des Jahres 1883 (  [2] ihren Niederschlag: So schilderte der Abgeordnete Zak, Berichterstatter des Commassionsausschusses, folgende Begebenheiten: „Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde – ich muss sagen als wirklich zu beklagender Kurator – derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe, welche 900 Metz sehr gute Gründe betragen, besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. Nun ist es wohl voraussichtlich, welchen Erfolg ich eben als Kurator in dem Prozess haben werde. Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden und so, meine Herren, geht es in sehr vielen, ja in den meisten Fällen.“ (Dr. Johannes Zak, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9234)

Debattenbeiträge des Dr. Johannes Zak (1883)

 

URTEIL DER RECHTSWISSENSCHAFT

Als generelles Phänomen fand der historische Konflikt um die Gemeindegründe auch Niederschlag in der rechtswissenschaftlichen Literatur aus der Zeit der Monarchie.

a)  Carl Peyrer v. Heimstätt

Gerade ein Jahr vor dem Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses war eine grundlegende Arbeit von Carl Peyrer v. Heimstätt, k.k. Ministerialrat im Ackerbau-Ministerium, über die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse (1877) erschienen, die einen Überblick über die Behandlung des Gemeinschaftseigentums in Preußen und Hessen-Kassel enthielt. Peyrer verwies auf große Erfolge in der praktischen Umsetzung der Bodenreform in Norddeutschland, die vor allem mit dem Namen des großen Agrarökonomen Albrecht Daniel Thaer (gest 1826) verbunden waren, dem geistigen Vater der preußischen Gemeinheitsteilungsordnung von 1821. Auch Peyrer selbst legte einen Gesetzesentwurf betreffend die Zusammenlegung der Grundstücke und die Ablösung und Regulierung der Nutzungsrechte samt Motivenbericht vor. Die darin enthaltenen Feststellungenwonach Genossenschafts- und Gemeindebesitz so durcheinander geworfen würden, dass in den österreichischen Ländern mehr als eine Million Hektar mit völlig unklaren und ungeregelten Eigentumsverhältnissen bestanden, wurden im späteren Bericht des NÖ Landesausschusses als Argument für den dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers ausdrücklich zitiert.

Carl Peyrer, der aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit tiefgehende Einblicke in die damaligen agrarischen Verhältnisse in den diversen österreichischen Ländern besaß, berichtete vor allem von Unklarheit und Verwirrung, verbunden mit Sorglosigkeit, wenn es sich darum handelte, „die Eigenthumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher, einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Theilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Acte darüber vorzunehmen.“

Dafür nannte Peyrer verschiedene Beispiele: Die „Tabellen zur Land- und Forstwirthschaft des Königreiches Böhmen“ etwa würden „den so wichtigen Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftsvermögen gar nicht“ kennen und beide Kategorien gemeinsam unter der Bezeichnung „Gemeindegründe“ führen. Selbst das „Statistische Jahrbuch des Ackerbauministeriums“ 1874 lasse im zweiten Heft über Forststatistik den Unterschied zwischen Gemeinde- und Gemeinschaftswaldungen kaum erkennen: Nach seinem Inhalt würden in Kärnten nur „Reichsforste“ oder „Privatwälder“ existieren. „Gemeindewälder“ seien dort als Kategorie gar nicht vorgesehen, alle „Nachbarschaftswaldungen“ seien in Kärnten demnach „den Privatwaldungen gleichgestellt“.
Im „Küstenlande und in Dalmatien“ würden dagegen alle gemeinschaftlich benutzten Gründe als „Gemeinde-Eigentum“ ausgewiesen, selbst die gemeinschaftlichen Weiden als „Gemeindeweiden“ eingetragen. Dies stünde in krassem Gegensatz zu den Verhältnissen in Krain, wo man aufgrund von Erhebungen in den Jahren 1869 und 1870 die Überzeugung gewonnen hatte, dass die gemeinschaftlich benutzten Hutweiden kein Gemeindevermögen, sondern ein Gemeinschaftsvermögen bilden.
Für die Bukowina konstatierte Peyrer Servituten-Ablösungs-Vorgänge, bei denen die Ablösungsflächen als Ergebnis von Grundlasten-Verhandlungen „nominell an die Gemeinden“ zugeschrieben worden wären. Dazu bemerkte er, dass die Berechtigten nicht die Absicht gehabt haben konnten, „ihre privativen Nutzungsrechte zugunsten der [Orts-]Gemeinde aufzugeben“, was schon daraus ersichtlich sei, dass die einzelnen Berechtigten in den jeweiligen Waldungen ihre Holznutzungsrechte ausübten. Auch hätten die Gemeindevorsteher nicht den mindesten Versuch unternommen, das Ablösungs-Äquivalent der Servitutsberechtigten als ein Gemeinde-Eigentum zu behandeln, somit „andere Gemeindeglieder [als die ursprünglich abgelösten] zum Genusse zuzulassen“. Als aber neue Ansiedler gleiche Rechte am „Gemeindevermögen“ verlangt hatten, wäre Streit darüber entstanden, „ob der Wald nach dem Wortlaut der Urkunden den Gemeinden oder nach der offenbaren Willensmeinung aller Servitutsberechtigten den Gemeinschaften der Letzteren gehöre“.
Schließlich wandte sich Peyrer auch Salzburg und Tirol zu und verglich diese mit den Problemfällen in der Bukowina: Wie dort seien auch in anderen Ländern wie eben z.B. in Salzburg und Tirol bei Forstregulierungen und Servitutenverhandlungen, „um das Geschäft leichter abzuwickeln“, die Ablösungs-Äquivalente nicht den Servitutsberechtigten, sondern „der Gemeinde als ein Gemeindevermögen“ zugewiesen worden, „ohne dass diese Rechtsverhältnisse weiter klargestellt wurden“. Die „Äquivalente“ waren jedoch „nach der Summe der privatrechtlichen Nutzungsrechte der einzelnen servitutsberechtigten Güter berechnet“ und hätten daher selbstverständlich weder einen Überschuss für die Gemeinde, noch für andere, bisher nicht servitutsberechtigte Gemeindeglieder abgegeben.

Zusammenfassend stellte Peyrer fest: „Wenn nun, wie diese Beispiele zeigen, selbst solche Grundstücke, bei welchen der Rechtstitel zugunsten der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten aus Verhandlungen der neuesten Zeit offen vorlag, mit Verdrängung der Privatrechte zu einem Gemeindevermögen gemacht wurden, so kann es umso weniger befremden, dass die aus der alten Dorfverfassung abgeleiteten Nutzungsrechte der Bauernschaften am Gesamtvermögen ignorirt wurden und daß man jedes Gemeinschaftsvermögen als Gemeindevermögen zu behandeln suchte.“

b)  Julius Weiske

Die „verwickelte Natur“ und unglaubliche Unklarheit der Rechtsverhältnisse an jenen Liegenschaften, die damals als „Gemeindegüter“ verstanden wurden, war somit, wie PeyrersÜberblick belegt, eine generelle Erscheinung in den „österreichischen Erbländern“ – und nicht nur das: Eine schon 1849 erschienene Untersuchung von Julius Weiske zu den historischen Gemeindegütern beweist vergleichbare Probleme im gesamten deutschen Rechtskreis; Weiske legte mit dieser Abhandlung eine dogmatisch tiefgehende, auf rechtsvergleichenden Betrachtungen fußende Auseinandersetzung mit dem Recht der Gemeindegüter vor. Schon einleitend kritisierte er Strömungen, die das Recht auf Nutzung der Gemeindegüter generell als ein politisches, als einen Ausfluss des Gemeindebürgerrechtes und damit als Ausfluss aus dem Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde ansahen – „obschon ersteres bestand, ehe man vom letzteren etwas wußte“. Die Ableitung des Nutzungsrechtes an den Gemeindegütern aus dem Recht der neuen politischen Ortsgemeinde würde die geschichtliche Entwicklung des Gemeindelebens ignorieren. Es sei deshalb zu beachten, ob die fraglichen Nutzungsrechte „die Natur von wohl erworbenen Privatrechten (…) hätten oder ob sie als bloße Konzessionen der Gemeinde erscheinen.“

In weiterer Folge erarbeitete Weiske die Anforderungen an den Gesetzgeber und die Gemeinden selbst:
„…so erachten wir, dass zuvörderst die Gemeinden selbst über die Natur und Beschaffenheit ihrer Gemeindegüter aufgeklärt werden müssen. Gegenwärtig [1849!] faßt in der Regel jedes Mitglied diese Güter von dem Gesichtspunkte aus auf, der ihm der vortheilhafteste ist. Die z.B., welche kein Vieh halten, sagen, die Gemeindeweide, von der wir keinen Vortheil haben, ist auf andere Weise zu benutzen, sei es zum Besten der Gemeindekasse oder zu dem aller Mitglieder. Sie meinen überhaupt, was einmal Gemeindegut sei, könne, da sie alle Gemeindeglieder seien, nicht zu dem Privatvortheil einer bloßen Classe von Gemeindegliedern verwendet werden. Die Altberechtigten dagegen betrachten die Gemeindegüter, deren Nutzungen sie zeither allein gezogen haben, nicht als Vermögenstheil der neu geschaffenen politischen Gemeinde; sie halten dieselben im Gefühle ihres historischen Rechtes für Güter, die ihnen, den Berechtigten, gemeinsam zustehen, und zwar selbst dann, wenn sie einen gewissen Antheil des Ertrages der Gemeindekasse zufließen lassen.“

Für Weiske stand also schon 1849 außer Zweifel, dass hinsichtlich der Rechtsverhältnisse an den Gemeindegütern umfassender Klarstellungsbedarf bestehen würde: „Häufig sind aber auch die den Gemeinden vorgesetzten Behörden hinsichtlich der Natur der Gemeindegüter mit sich selbst nicht im Klaren. Sie gehen von den römisch-rechtlichen Lehren aus und kennen die historische Bedeutung der Gemeindegüter bei uns nicht.“ (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849)

 

KLARSTELLUNG BEI GRUNDBUCHANLEGUNG?

Wer nun glaubt, in Österreich hätte die Grundbuchsanlegung hinsichtlich dieser unglaublich verwickelten Problematik Klarheit geschaffen, der irrt.

Albert Ehrenzweig analysierte die Ergebnisse der Grundbuchanlegung im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Gemeinde- und Gemeinschaftseigentum aus der Sicht des Jahres 1923 wie folgt: „Die Einführung der neueren Gemeindeverfassung veranlasste langwierige Streitigkeiten (…). Es lag nahe, dass die neue politische Gemeinde als Nachfolgerin der Realgemeinde alle Gemeindelasten auf sich nahm, dafür aber auch das Eigentum am Gemeindegut beanspruchte. (…) Bei der Grundbuchsanlegung musste die Eigentumsfrage gelöst werden. Dies geschah nicht immer in klarer Weise und gab Anlass zu erbitterten Prozessen. In vielen Fällen wurde gemäß den neuen Gemeindeordnungen die gemeinschaftlich benützte Liegenschaft als Eigentum der Gemeinde anerkannt (…). Anderwärts ist es dem geschlossenen Kreise der Nutzungsberechtigten (…) gelungen, der Gemeinde das Eigentum mit Erfolg streitig zu machen. Im Grundbuche wurde dann entweder Miteigentum als Realrecht (…) oder Alleineigentum einer juristischen Person (Agrargenossenschaft) eingetragen.“

Diese rechtstatsächlichen Feststellungen Ehrenzweigs belegen abermals, dass die Rechtsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften unklar und strittig waren. Bezeichnender Weise gibt allerdings auch Ehrenzweig selbst keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie sich die Rechtslage als solche darstellte, wie sie also richtig zu beurteilen gewesen wäre. Seine Ausführungen bestätigen nur ein weiteres Mal den Befund, den schon Pfaff im Jahr 1884 formuliert hatte, dass nämlich die Zivilrechtsliteratur diese Rechtsverhältnisse weitgehend ignoriert hätte!

Leopold Pfaff: „Mancher österreichische Civilist, dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den niederösterreichischen Landtagsakten zu erfahren, daß ‚die Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigenthumes in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar’ sind, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften’) noch immer existiren, seit geraumer Zeit aber mit der ‚Gemeinde’ identificirt werden, daß die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde“, gleichzeitig jedoch im Zusammenhang mit den Rechten am „Gemeindevermögen“ behaupten würden: „Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.“

Mehr zum Thema:
Die Gemeinschaftsliegenschaften und das Grundbuch

LITERARISCHE DISKUSSION

Immerhin löste die Anlegung der neuen Grundbücher aber eine umfangreiche literarische Diskussion darüber aus, wie denn derartige Gemeinschaftsgüter in den Grundbüchern einzuverleiben seien – sie kann hier nur erwähnt, jedoch keineswegs erschöpfend aufgearbeitet werden.

Exemplarisch sei ein Befund von Hoegel aus dem Jahr 1885 wiedergegeben, für den sich die Sachlage wie folgt darstellte: „Zu den schon von altersher bestandenen Gemeindeweiden und Waldungen, den einstigen Allmendgütern, kamen später noch Güter gleicher Art, als anläßlich der Servitutenablösung (…) ziemlich allgemein den Servitutsberechtigten als Abfindung (…) das freie Eigenthum an Weide und Wald gegeben wurde (…). Es lag in der Natur der Sache, daß diese Gründe (…) eine physische Auftheilung unter die Berechtigten nicht vertrugen, weil sie zwar als Ganzes, nicht aber in Theile aufgelöst sämtlichen Einzelbedürfnissen genügten (…). In der Mehrzahl der Fälle wurde die Gemeinsamkeit dieser Grundstücke aufrecht erhalten und de facto Weide- und Waldgenossenschaften errichtet und organisiert, indem in der Regel im Wege der Gemeindevorstehung das Maß des den einzelnen Wirtschaften zustehenden Weiderechtes (…), des Beholzungs- und Streurechtes, sowie der allfälligen Pflichten festgesetzt wurde. (…) befremdend muß es erscheinen, daß diese Genossenschaften regelmäßig des Stempels der Legitimität entbehren, daß sie nicht gesetzlich organisiert wurden und wir in ihnen ein Stück Gewohnheitsrecht erblicken (…). So klar diese faktische Regelung gegeben war, so unklar waren sich die Juristen darüber, wie dieselbe mit unserem jus scriptum und insbesondere dem Tabularwesen in Einklang zu bringen wäre, eine Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität heranwächst.“ (Hoegel, Aus der Grundbuchpraxis, JBl 1885, 592 f: Die Einlagen für gemeinschaftliche Weiden und Waldungen)

 

GEMEINSCHAFTSGUT ODER GEMEINDEGUT?

War man sich in der zivilrechtlichen Literatur im Unklaren, wie denn diese Gemeinschaftsgüter aus der Sicht des neuen Grundbuchswesens zu erfassen wären, so bestand schon gar keine Klarheit darüber, anhand welcher Kriterien die Gemeinschaftsgüter von den Gemeindegütern zu unterscheiden seien. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen dazu lassen sich in verschiedenen Ländern bis an die Anfänge des heutigen modernen Gemeindewesens nachweisen (Grundlegend Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung).

Liest man etwa die Replik Pairhubers aus dem Jahr 1880 auf Hermans Abhandlung aus dem Jahr 1879 (Herman, Das Genossenschaftsvermögen in den Gemeinden, Österreichische Zeitschrift für Verwaltung 1879, 217 ff), so wird deutlich, dass die Auseinandersetzung zwischen der heutigen modernen Ortsgemeinde und der Klasse der „Urhausbesitzer“, wie sie beispielsweise in der Steiermark und in Niederösterreich in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts ausgefochten wurde, im heutigen „Tiroler Agrarstreit“ eine nahezu idente, geradezu kopierte Neuauflage findet. Die Argumente, die vorgebracht wurden, um entweder Gemeinschaftseigentum oder Eigentum der neuen Ortsgemeinden zu begründen, scheinen in erster Linie politisch motiviert.

Eine juristisch-stringente Argumentation anhand der anerkannten Grundsätze über Eigentumserwerb und Eigentumsverlust fand sich nur in der Abhandlung eines anonymen „Dr. S“ über die Realgenossenschaften in Österreich, publiziert in der Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit 1886. Er sprach sich klar gegen die These aus, dass die neue politische Ortsgemeinde in irgendeiner Form von Gesetzes wegen die Rechtsnachfolge in Sachenrechte der historischen „Realgenossenschaften“ angetreten hätte. (S, Über Realgenossenschaften in Österreich, Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, 1886, 310 f)

Vermutlich die wichtigste Ursache der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Gemeinschaftsgüter ist der Umstand, dass die Ausdrücke „Gemeingut“ und „Gemeindegut“ sowohl das Vermögen von (privaten) Nutzungsgemeinden (Realgemeinde, Dorfschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft, Genossenschaft) als auch das Vermögen von politischen Gemeinden bezeichnen konnten (Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 49).
Diese Mehrfachbedeutung der Begriffe war auch schon unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Provisorischen Gemeindegesetzes 1849 von Fernand Stamm als besondere Schwierigkeit bei der Verwaltung des Eigentums der neuen Ortsgemeinden hervorgehoben worden (Stamm, Die wichtigsten Angelegenheiten der Gemeinde (1850) 23 ff). In diesem Sinne setzte der historische Gesetzgeber des TRRG 1883 eine synonyme Verwendung der Begriffe „Gemeindegut“ und „Gemeingut“ durch die Praxis voraus (582 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, IX. Session, 12).
Dennoch ist dogmatisch die zivil-, agrar- und gemeinderechtliche Begriffsbildung streng zu unterscheiden. Dabei zeigt sich jedoch ein bemerkenswerter Verdrängungsprozess: An die Stelle der unterschiedlich alten, nebeneinander bestehenden Gemeindevorstellungen trat zunehmend eine Dominanz des gemeinderechtlichen (politischen) Gemeindebegriffs, der insbesondere den zivilrechtlichen vergessen ließ. Ursachen und Mechanismen dieser begrifflichen Verengung sind vielfältig, noch nicht umfassend erforscht und können im Folgenden nur exemplarisch gezeigt werden.

 

BEVORZUGUNG DER GEMEINDE

Die Bevorzugung des politischen Gemeindebegriffs und, damit einhergehend, die Bevorzugung der Annahme eines derartigen Gemeindeeigentums hatte schon Peyrer festgestellt. Aus zeitgenössischer Sicht erklärte er sie wie folgt: Mit Einrichtung der modernen Ortsgemeinde, wodurch diese als selbständige Staatseinrichtung in den Vordergrund trat „und vom Staate sowie von den höheren autonomen Organen begünstigt wurde, genügte oft schon der bloße Name, um das Vermögen der Nutzungsgenossenschaft ganz der politischen Gemeinde zuzuweisen“ (Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 49).

Hinzu kam, soweit Wälder betroffen waren, eine forstrechtliche Sonderstellung der „Gemeindewaldungen“: Das historische Forstgesetz hätte die Teilung von Gemeindewaldungen verboten, während bei Gemeinschaftswaldungen ein solches Verbot nur dann bestanden hätte, wenn sie aus Servitutenablösung gemäß Patent vom 5. Juli 1853 entstanden waren (§ 31 Servitutenregulierungspatent 1853). Wegen der Schädlichkeit von Naturalteilungen hätten die Behörden lieber „Gemeindewaldungen“ angenommen, um mit dem dadurch auferlegten Teilungsverbot das Interesse der Forstkultur zu wahren.

Einen weiteren Grund für die Behandlung von Gemeinschaftswaldungen als „Gemeindewaldungen“ erblickte Peyrer in den Gemeindeordnungen: Sie hätten Regeln über die Verwaltung des Gemeindevermögens und damit über die Behandlung der Gemeindewaldungen enthalten, während es anderenfalls an jeder gesetzlichen Normierung mangelte. Es schien daher begreiflich, dass die Landesausschüsse solche Liegenschaften im Zweifel lieber als Gemeindegründe behandelten, um durch die Anwendung des Gemeinderechts Ordnung herzustellen (Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 49 f).

Aber auch die Katasterämter hätten die Gemeinde vor der Genossenschaft begünstigt, „da es leichter und bequemer ist, die Steuern von der Gemeinde einzuheben“. Dies schlage auf die Grundbücher durch, da man bei deren Anlegung den Steuerkataster zur Richtschnur herangezogen hat. All dies erschien „begreiflich“, weil „die Gemeinde wohlorganisirt, begünstigt von der Staatsgewalt (…), der äußerlich kaum mehr erkennbaren, jeder gesunden Organisation und Vertretung baren Nutzungsgenossenschaft“ entgegentreten sei (Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 51).

Das treffende Resümee Peyrers ist es wert, zitiert zu werden:
„So vollzieht sich in allen österreichischen Ländern, von der Wissenschaft und im Leben kaum beachtet, einer der merkwürdigsten socialen Processe, durch welchen fast das gesamte Grundeigenthum eine Umgestaltung erleidet. Von zwei Seiten angegriffen, verschwindet nach und nach das alte, früher alleinherrschende, noch vor einem Jahrhundert weitaus überwiegende Gemeingut, das Gesammteigenthum, um auf der einen Seite durch vollständige Auftheilung unter die einzelnen Gemeindeglieder dem Privateigenthum, auf der anderen Seite dem Gemeindevermögen Platz zu machen.“ (Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 51)

Der eingangs zitierte Bericht des niederösterreichischen Landesausschusses von 1878 brachte diese Entwicklung noch dramatischer zum Ausdruck, wenn er feststellte, dass „die alte Organisation der Nachbarschaft (…) zertrümmert“ war, weil die Nachbarschaft im „modernen Staate“ ihren „öffentlichen Charakter“ verloren hätte, „ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten“. Die „Gemeinde“ erschien jedoch „in allen Urkunden als Eigenthümerin und „so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne daß letztere gestorben wäre.“ (Bericht des NÖ Landesausschusses vom 21. September 1878, 8)

In den hier skizzierten Überlegungen wird erkennbar, wie der vermeintliche Siegeszug der politischen Ortsgemeinde, ihres Gemeindegutes und ihres Gemeindebegriffes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Faktoren resultierte. Ein weiterer, von den Zeitgenossen nicht erwähnter Grund liegt vermutlich darin, dass die Theorie der juristischen Person in Österreich erst durch die pandektistische Rechtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Raschauers Befund, dass dem Institut der „Realgemeinde“, der Realgenossenschaft, der „Nachbarschaft“, der „Interessentschaft“ – wie auch immer die „moralische Person“ im Sinn §§ 26 f ABGB im konkreten Fall bezeichnet wurde – heute „kein allgemein anerkanntes verbandsrechtliches Organisationsmodell“ entspricht. (Raschauer, Rechtskraft und agrarische Operation nach TFLG, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hg), Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 267) Die Grundlage dafür wurde bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt, indem die vom ABGB zur Verfügung gestellte moralische Person verdrängt wurde.

Angesichts der Zweifel und Unklarheiten, vor die sich die Rechtswissenschaft gestellt sah, erstaunt es nicht, dass die unmittelbar Betroffenen das Problem der Unterscheidung ihres gemeinschaftlichen Privateigentums vom Gemeindeeigentum vielfach gar nicht erkannten. Doch selbst wenn sie dies taten, so wurde doch die Organisation dieses Vermögens in einem „anerkannten Verbandsmodell“ zum Problem. So konstituierte sich die „Leobener Wald- und Wirtschafts-Realgemeinschaft“ aufgrund des Vereinspatens 1852 als „Verein“ (E Oberster Agrarsenat vom 2.10.1963, 323-OAS/63), im Außerfern wurden zur Verwaltung der überörtlichen Realgemeinden „Pfarrausschüsse“ geschaffen (Großpfarre Praytenwang oder die „Fünförtliche Pfarrgemeinde Wängle-Aschau“), in Rattenberg organisierte sich eine solche Gemeinschaft unter der Bezeichnung „Lehensassengenossenschaft“ (EZ 1 Grundbuch Rattenberg). Häufiger war die Konstituierung von „Wald-Interessentschaften“ wie etwa in Volders, in Igls, in Lans oder in Mutters. Der grundsätzliche Mangel einer „anerkannten“ Organisation wurde letzteren Falles freilich nicht behoben.

 

PRAKTISCHE SCHWIERIGKEITEN

Es kann daher nicht verwundern, dass die historischen Akteure für „nicht regulierte Agrargemeinschaften“ sich in allen amtlichen Vorgängen bevorzugt als Träger politischer Ämter in der jeweiligen politischen Ortsgemeinde legitimierten:
So trat beispielsweise ein Einschreiter für die Wald-Interessentschaft Volders 1871/1872 gegenüber der Servitutenregulierungsbehörde als Gemeindevorsteher von Volders auf (LAS Tirol vom 19.08.2010, LAS -1025/5-10).
Noch häufiger scheint jedoch das gänzliche Fehlen einer eigenständigen Organisation der „alten Nachbarschaft“ und die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften durch die Organe der Ortsgemeinde, wie dies Albert Mair für die Tiroler Verhältnisse (Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes) und der Bericht des niederösterreichischen Landesausschusses jedenfalls für Niederösterreich (Bericht des NÖ Landesausschusses vom 21. September 1878, 8 ff)generell voraussetzten.
Eine „Art“ historischer „Verwaltungsgemeinschaft“ der „alten Agrargemeinde“ und der neuen Ortsgemeinde wurde auch im Erkenntnis des Obersten Agrarsenates zur Marktgemeinde Ysper (Niederösterreich) angenommen und mit der weitgehenden Deckungsgleichheit des Mitgliederkreises erklärt (Oberster Agrarsenat vom 6. Oktober 1956, 245-OAS/58).
Dogmatisch richtiger wird es sein, für die historische Vergangenheit von einer stillschweigenden Beauftragung auf privatrechtlicher Grundlage auszugehen; die Gemeindeordnung wäre als lex contractus dieser Beauftragung zu Grunde gelegt.

Die Tiroler Praxis unterstellte eine gesetzliche Vertretungskompetenz der politischen Ortsgemeinde für die nicht regulierte Agrargemeinschaft (LAS Tirol, Erkenntnis LAS-115/3-79 vom 13.6.1979) – dies freilich nicht bloß in jenen Fällen, in denen eine Agrargemeinschaft auf Liegenschaftseigentum der politischen Ortsgemeinde bestand, sondern gerade auch dann, wenn Eigentum der Agrargemeinschaft angenommen wurde, das missverständlich als „Gemeinde-“ bzw „Fraktionsgut“ erfasst worden war.
Bezeichnend ist etwa das Regulierungsverfahren der Agrargemeinschaft Gaicht: Während des laufenden Regulierungsverfahrens, das unter anderem mit der rechtskräftigen Feststellung des Eigentumsrechts zu Gunsten der Agrargemeinschaft Gaicht abgeschlossen wurde, ergab sich hier das Erfordernis rechtsgeschäftlicher Vertretung für die Gemeinschaftsliegenschaften in einem Bauverfahren. Dazu erklärte die Agrarbehörde 1. Instanz, dass „die Verwaltung des Gemeinschaftsgebietes weiterhin der Gemeinde Weissenbach“ obliege, und zwar bis zur Rechtskraft des Regulierungsplans (Tiroler Landesregierung AgrB-R625, Erklärung vom 27.11.1961).

Am Beispiel der Agrargemeinschaft Gaicht zeigt sich, wie naheliegend es für die Rechtspraxis war, alle „bei der Ortsgemeinde verwalteten Gemeinschaftsliegenschaften“ unter dem Begriff „Gemeinde-“ bzw „Fraktionsgut“ zu erfassen. Dies schon deshalb, weil die Legitimität jahrzehntelanger Vertretungs- und Verwaltungshandlungen nicht in Frage gestellt werden sollte.

Die historischen Tiroler Agrarjuristen haben – und das sollte bei der Analyse ihrer Bescheide beachtet werden – den Begriff „Gemeinde-“ und „Fraktionsgut“ nicht (bzw nicht nur) zur Bezeichnung von Eigentum der Ortsgemeinde verwendet, sondern auch zur Erfassung der unregulierten Agrargemeinschaft: „Quasi-Erbschaft“ der Ortsgemeinde im Verhältnis zur „alten Agrargemeinde“ hätte zur Agrargemeinschaft geführt, die körperschaftlich einzurichten und zu reorganisieren sei.
Mit dieser Theorie wurde das Faktum einer fehlenden Vertretungsstruktur kompensiert: Die Subsumtion der unregulierten Agrargemeinschaft unter den Begriff des „Gemeindegutes“ bzw des „Fraktionsgutes“ schien die historisch gewachsenen Verhältnisse zu erklären, in deren Rahmen Organe der Ortsgemeinde als Vertretungs- und Aufsichtseinrichtung aufgetreten waren.

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MP