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Abstract
Walter Schiff: „Enteignet!“
Walter Schiff hat um die Wende vom 19. zum 20. Jhdt eine umfangreiche Abhandlung zum Thema „Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung“ vorgelegt. Durch diese und diverse weitere Abhandlungen zum Agrarrecht erarbeitete er sich den Ruf eines Experten auf diesem Rechtsgebiet.
Seine Thesen, wonach das Gemeinschaftseigentum der historischen „Nachbarschaften“ der modernen Ortsgemeinde zugefallen wäre, gründen jedoch nicht im Gesetzesrecht, sondern in seiner politischen Einstellung, aufgrund derer er in späteren Jahren als ein Exponent marxistischen Gedankenguts begegnet.
Walter Schiffs Thesen gründen auf politischen Wunschvorstellungen vom angeblichen Inhalt der modernen Gemeindegesetze und diese stehen im klaren Widerspruch zu den wahren Anordnungen des historischen Gemeinderechts.
Die Thesen des Walter Schiff vom Gemeinderecht als Norm zur Legalenteignung (Enteignung von Gesetzes wegen) haben später vor allem den Austromarxisten Otto Bauer und Siegberg Morscher inspiriert.
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Walter Schiff plädiert in einer agrarpolitischen Abhandlung (Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung, 1898) dafür, Eigentum, welches auch nach Schiffs Verständnis bis zur Entstehung der modernen politischen Ortsgemeinde eindeutig den Mitgliedern von Privatgemeinden, den Nachbarschaften, zustand, mit Einrichtung der neuen politischen Ortsgemeinden in deren Verfügungsbefugnis zu überstellen.
a) Den Abschnitt über die rechtliche Behandlung der agrarischen Gemeinschaften in Gesetzgebung und Praxis leitet Schiff mit der Forderung ein, das die Bereiche des Privatrechts und derjenige des öffentlichen Rechts klarer geregelt werden müssten. (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 186 ff). In die Sphäre des Zivilrechts würde bei allen Arten von agrarischen Gemeinschaften die Eigentumsfrage fallen; bei den genossenschaftlichen Gemeinschaften und den sog. „Gemeingründen“ zudem die Frage nach den Nutzungsrechten und diejenige nach der Verwaltung. Bei der dritte Arten der agrarischen Gemeinschaften, den „Gemeinde- und Fraktionsgütern“, sei es Sache des öffentlichen Rechts die Nutzungen und die Verwaltung zu regeln. (Schiff, aaO, 186) Schiff erörtert verschiedene Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung, schließt jedoch mit einem resignierenden Befund: „So stößt schon die Beantwortung der primitivsten Frage, wer als Eigentümer der Gemeingründe anzusehen ist, auf große, bisher noch nicht überwundene Schwierigkeiten. Von diesem Kardinalpunkt hängt wieder die Entscheidung über eine ganze Reihe rechtlich und wirtschaftlich wichtiger Momente ab, wie: Umfang der Nutzungsrechte, Teilbarkeit, Veräußerlichkeit, Bewirtschaftung und Verwaltung des Grundstückes usw.“ Angesichts dieses von Schiff gewonnen Befundes zu den Rechtsverhältnissen an den von ihm so bezeichneten „Gemeingründen“ für die Rechtslage in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts verwundert es nicht, dass Schiff nach einem Ausweg sucht, den er nur in den „öffentlich-rechtlichen Normen über das Gemeindegut“ zu finden glaubt. (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 190ff)
b) Schiff kritisiert in der Folge die politischen Gemeindegesetzgebung, von der er sich eingehende Normen über die Benützung und Verwaltung der „Gemeingründe“ erwartet hätte. Einleitend formuliert er den zusammenfassenden Befund, dass weder das prov. GemG 1849, noch das RGG 1862, noch die für die einzelnen Länder in den Jahren 1863 bis 1866 erlassenen Gemeindegesetze die erwünschte Ordnung gebracht hätte. Schiff bedauert dies ausdrücklich, weil eine derartige Gelegenheit für „ein entschiedeneres Eingreifen“ des Gesetzgebers kaum je wiederkehren würde.
aa) Für Schiff erscheint die politische Gemeindegesetzgebung der Jahre 1849 – 1866 als wichtige agrarpolitische Maßnahme! Argumentativen Ansatz dazu bietet die Thematik „Aufrechterhaltung der privilegierten Nutzungen“. (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 191f) Ohne zu hinterfragen, ob die agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften jemals ein wahres Eigentum der politischen Ortsgemeinden wurden, problematisiert Schiff wegen der (angeblich) radikalen Änderung der Lastenverteilung in der politischen Ortsgemeinde aufgrund des prov. GemG 1849, die Tatsache, dass bei der Benützung von Gemeindegut keine radikale Änderung vorgenommen wurde und dass die privilegierten Nutzungsrechte der größeren Besitzer perpetuiert worden seien. (Schiff, aaO, 193)
Es sei eine „Klasse von wirklich privilegierten Gemeindemitgliedern“ geschaffen worden, welche besondere Rechte ohne entsprechende Pflichten genießen würde – so Schiff. Er führt dies darauf zurück, dass das prov. GemG 1849 den Stempel der Revolution des Jahres 1848 trage, welche „keine proletarische, sondern eine bürgerliche“ Revolution gewesen wäre. Die Petitionen der Häusler, Parzellenbesitzer, Inleute auf Teilung der Gemeindegründe und ihre Forderungen auf Beteiligung am Gemeindevermögen seien ignoriert worden; ihre ökonomische Lage hätte sich durch die Verallgemeinerung der Beitragspflicht zu den Gemeindelasten „bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der privilegierten Gemeindenutzungen“ noch verschlechtert. (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 193) Zusammenfassend konstatiert Schiff auf Basis des prov. GemG 1849 „eine Reform des Gemeindewesens im antisozialen Sinn“.
bb) Den aufgrund des Reichsgemeindegesetzes 1862 erlassenen Gemeindeordnungen widmet Schiff besonders breiten Raum. (Schiff, Österreichs Agrarpolitik, 194) Der Anschein unmittelbarer agrarrechtlicher Relevanz wird durch die Anknüpfung bei der Nutzung des Gemeindeguts hergestellt; die Aufrechterhaltung bestehender Nutzungsberechtigungen nach der bisherigen Übung wird von Schiff kritisiert, weil im neuen Gemeinderecht alle Gemeindeglieder zur Deckung der Gemeindebedürfnisse beizutragen hätten. Erst nach einer breiten Darstellung der Rechtsverhältnisse am öffentlichen Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde (Schiff, aaO, 194 – 200) kommt Schiff zum Kernpunkt, nämlich der Frage „des Eigentums an den Gemeinschaftsgütern“ und der „Grenze zwischen Gemeinde- und Gemeingut“. (Schiff, aaO, 200ff) Er vertritt die These, dass zu dieser Frage sowohl im Reichsgemeindegesetze 1862 als auch in den Gemeindeordnungen der einzelnen Länder jede Bestimmung fehle: Der „Unterschied zwischen dem öffentlich-rechtlich gebundenen Gemeindeeigentum und dem rein privatrechtlichen Eigentum einer größeren Zahl von Gemeindemitgliedern (Rustikalisten u. dergl.)“ sei „zwar begrifflich scharf zu ziehen“; in der Praxis würden beide Kategorien jedoch leicht ineinander fließen. Für den Zeitraum vor dem Jahr 1849, „als die Rustikalisten mit der Gemeinde noch identisch waren“, könne nicht bezweifelt werden, dass die „gemeine Weide, der gemeine Wald wirkliches Gemeindeeigentum“ gewesen sei, nicht etwa Miteigentum der „Rustikalisten“. (Schiff, aaO 201)
Was unter „Gemeinde“ in der Zeit vor dem Jahr 1849 allerdings zu verstehen war, dazu vermeidet Schiff jede Vertiefung, auch wenn er einleitenden noch festgestellt hatte, dass in früherer Zeit „die Rustikalisten mit der Gemeinde noch identisch waren“ (Schiff, aaO, 201), womit Schiff die historische Eigentümergesellschaft für agrarische Grundstücke beschreibt, die „Gemeinde gem § 27 ABGB 1811“ – eine Erscheinung die aus heutiger Sicht am besten mit dem Begriff der „privaten Nachbarschaft“ erklärt ist.
In weiterer Folge behauptet Schiff eine Änderung der Eigentumsverhältnisse am ehemaligen Nachbarschaftsgut will folgt: Die durch das prov. GemG 1849 geschaffene und durch die späteren Gemeindeordnungen ausgestaltete politische Ortsgemeinde sei etwas wesentlich anderes, als die bis dahin vorhandenen Wirtschaftsgemeinden gewesen waren; der Personenkreis sei bedeutend erweitert, die Agenden großteils andere, ebenso die Organisation sowie die Art, in der die Bedürfnisse gedeckt worden waren. Davon ausgehend stellt sich Schiff die (rethorischen) Fragen, ob die „neue Ortsgemeinde eine Fortsetzung der privatrechtlichen Persönlichkeit der alten Gemeinde“ bilde; ob „das, was früher Eigentum der („alten“) Gemeinde, dh der Bauernschaft war, ipso iure gleichsam kraft einer gesetzlichen Universalsukzession auf die neue Gemeine“ übergehe; wenn ja, ob dies immer zutreffe oder nur unter bestimmten Voraussetzungen; wenn nicht, ob die alte, ihrer öffentlich-rechtlichen Funktionen und ihrer Organisationen entkleidete Gemeinde als eine Korporation des Zivilrechts fortlebe oder das Eigentum an dem früheren Gemeindegut den vollberechtigten Genossen zu ideellen Anteilen zustehe? (Schiff, aaO, 202)
Das prov. GemG 1849 und die späteren Gemeindegesetze hätten diese Fragen – so Schiff´s Auffassung – nicht beantwortet: Zwar lege § 63 der Ausführungsgesetze zum Reichsgemeindegesetz 1862 die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber die neue Gemeinde nicht nur in öffentlich-, sondern auch in zivilrechtlicher Beziehung als die Nachfolgerin der alten Gemeinde betrachtet habe. Andererseits würden §§ 11 resp. 10 bzw. 12 der Gemeindeordnungen von 1863 – 1866 ausdrücklich bestimmen, dass die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigentumsverhältnisse ganzer Klassen oder einzelner Glieder der Gemeinden ungeändert zu bleiben hätten. Schiff unterstellt in der Folge einen gesetzlichen Widerspruch zwischen § 63 der Gemeindeordnungen einerseits und den Bestimmungen der §§ 11 resp. 10 bzw. 12, der „doch wohl zugunsten der politischen Gemeinde zu entscheiden“ sei.
Schiff anerkennt deshalb die „alte Allmende“ nur dort als Privateigentum der Nachbarn, wo ein freies, uneingeschränkte Miteigentum der Nachbarn schon im Jahr 1849 bestanden hätte. Wo dagegen früher die Nachbarschaft, die Gemeindegenossenschaft usw. Eigentümerin gewesen sei, seien bereits damals die Nutzungen der einzelnen Genossen nicht Ausfluss ihres Privateigentums gewesen, sondern Folge ihrer Genosseneigenschaft, weshalb nunmehr das betreffende Gut eine Ausstattung der neuen politischen Gemeinde bilde. Lediglich die Nutzungen hätten sich nach der bisherigen Übung zu richten und würden dementsprechend in vielen Fällen ausschließlich den Stammsitzeigentümern zustehen. (Schiff, aaO, 203)
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Kritik der Thesen des Walter Schiff zur Enteignung der historischen Nachbarschaften, die auch „Gemeinde“ genannt wurden
aus:
Heinz Mayer, Politische Ortsgemeinde versus Realgemeinde: Zur Frage des Überganges des historischen Gemeindevermögens, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 187ff
Der Beginn der konstitutionellen Ära war auch die Geburtsstunde der modernen „politischen“ Gemeinde. Mit dem kaiserlichen Patent vom 17. März 1849, RGBl 170 wurde ein provisorisches Gemeinde-Gesetz erlassen. Mit diesem Gesetz wurde die Gemeinde als Schöpfung des Staatsrechtes neu geschaffen. Neuhofer schreibt zutreffend, dass mit diesem Gesetz die „Ortsgemeinde“ konstituiert wurde. Neuhofer, Handbuch 4. Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, 10. Auflage Wien 2005, 130, bezeichnet die „Gemeinden als einheitliche Lokalgewalten“ für das Land als „etwas völlig Neues“; mit „der Errichtung der Gemeinden im heutigen Österreich wird 1850 (…) begonnen“. Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 4. Auflage Linz 2007, 196f; Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 2. Auflage Wien-New York 1974, 367f; Ogris, Die Entwicklung des österreichischen Gemeinderechts im 19. Jahrhundert, in: Wilhelm Rausch (Hrsg), Die Städte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert, Linz 1983, 83ff; Rudolf Hoke, Gemeinde, in: Adalbert Erler / Ekkehard Kaufmann, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, Berlin 1971, 1494ff)
Mit anderen Worten: Mit diesem Gesetz wurde nicht eine bereits bestehende juristische Person neu benannt oder umorganisiert, sondern es wurde eine neue, bis dahin noch nicht existente juristische Person geschaffen. Zutreffend schreibt Schiff, „das die moderne, durch das provisorische Gemeindegesetz geschaffene und durch die späteren Gemeindeordnungen ausgestaltete politische Ortsgemeinde etwas wesentlich anderes ist, als die bis dahin vorhandene Wirtschaftsgemeinde gewesen war“. (Schiff, Agrarpolitik 202; vgl auch Schiff, ÖstW2, 1905, 75) Schiff erkennt freilich auch sehr klar, dass damit eine entscheidende Weichenstellung verbunden ist; er formuliert im Anschluss die entscheidenden Fragen mit alternativen Antworten und sei daher wörtlich wiedergegeben: „Bildet nun die neue Ortsgemeinde eine Fortsetzung der privatrechtlichen Persönlichkeiten der alten Gemeinde? Geht das, was früher Eigentum der »Gemeinde«, d. h. der Bauernschaft, war, ipso jure, gleichsam kraft einer gesetzlichen Universalsuccession, auf die neue Gemeinde Über? Wenn ja, tritt dies immer ein oder nur unter bestimmten Voraussetzungen? Wenn nicht, lebt die alte, ihrer öffentlich-rechtlichen Funktionen und ihrer Organisation entkleidete Gemeinde als eine Korporation des Zivilrechtes fort, oder steht das Eigentum an dem früheren Gemeindegute den vollberechtigten Genossen zu ideellen Anteilen zu? Diese Fragen haben weder in dem Patente des Jahres 1849 noch in den späteren Gemeindegesetzen eine Beantwortung erfahren.“
Schiff erkennt klar, dass die historische Nachbarschaft, die sich „Gemeinde“ nannte, und die neue politische Ortsgemeinde verschiedene Rechtssubjekte darstellen. Und er erkennt, dass sich aus dieser Verschiedenheit der Rechtssubjekte die Frage der Rechtsnachfolge stellt und formuliert dies so: „Da erhebt sich denn die wichtige Frage, ob diese neue Ortsgemeinde die privatrechtl. Persönlichkeit der alten Gemeinde fortsetzt, ob das frühere Eigentum der ‚Gemeinde’, dh der Bauernschaft, ispo jure, gleichsam kraft einer gesetzl. Universalsuccession, auf die neue Gemeinde übergeht?“ (Schiff, ÖStW2, 1905 75)
So klar Schiff die entscheidenden Fragen erfasst und formuliert, so unsicher erfolgt ihre Beantwortung; hier scheinen die Auseinandersetzungen der damaligen Zeit, die man grob als Machtkämpfe zwischen der Bauernschaft und der Obrigkeit definieren kann, Spuren im rechtlichen Denken hinterlassen zu haben. Wenn Schiff meint, dass weder das provisorische Gemeindegesetz 1849 noch die späteren Gemeindegesetze die aufgeworfenen Fragen „direkt“ beantworten und eine Gesetzeswidersprüchlichkeit behauptet (Schiff, ÖStW2 (1905) 75), so ist dies – betrachtet man die einschlägigen Vorschriften nüchtern und mit der gebotenen Distanz – unzutreffend.
Zunächst muss man davon ausgehen, dass eine Rechtsnachfolge nur dann angenommen werden kann, wenn es eine positivrechtliche Anordnung gibt, die diese Rechtsnachfolge anordnet. Rechte gehen nicht „schleichend“ oder „stillschweigend“ von einem Rechtssubjekt auf ein anderes über sondern nur dann und nur insoweit, als dies positivrechtlich bestimmt ist. Dies erkennt auch Schiff, wenn er die Möglichkeit „einer gesetzl. Universalsuccession“ in Erwägung zieht (Schiff, ÖStW2 (1905) 75). Eine solche positivrechtliche Anordnung, die einen Eigentumsübergang normiert, existiert jedoch nicht; das Gegenteil ist der Fall: § 26 der provisorischen Gemeindeordnung 1849 bestimmt klar und deutlich: „Die privatrechtlichen Verhältnisse überhaupt und insbesondere die Eigenthums- und Nutzungsrechte ganzer Classen oder einzelner Glieder der Gemeinde bleiben ungeändert.“
Die Bestimmung ist eindeutig: Eine Änderung privatrechtlicher Verhältnisse wird durch das Inkrafttreten der provisorischen Gemeindeordnung nicht bewirkt und war vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt. Dies bedeutet aber, dass es auch keine Rechtsnachfolge gibt. Dazu kommt, dass eine solche Rechtsnachfolge eine Enteignung bedeuten würde,) weil ja die juristische Person der Gemeinde nach bürgerlichem Recht fortbesteht. (Zu Recht spricht bereits Swieceny, aaO, Österreichische Zeitschrift für Innere Verwaltung, 1858, 348, im Zusammenhang mit der Beseitigung des Eigentums „der Altberechtigten“, davon, dass dies einer Expropriation gleichkommen würde, „die sich nur dann rechtfertigen ließe, wenn derselben eine Entschädigung der Altberechtigten zur Seite ginge“; Vgl bereits Adamovich, Handbuch des Österr. Verwaltungsrechts II5 (1953), 108, wonach die aufgrund des RGG 1862 ergangenen Landes-Gemeindeordnungen das sog. „Gemeindesondergut“ überall bestehen ließen. Dieses sei historisch auf die Allmende zurückzuführen, deren Boden im Gesamteigentum der Markgenossen stand; so auch Veiter, Die Rechtsstellung der Ortschaft (Gemeindefraktion), ZÖR NF, 1957/1958, 488).
Es ist keine Norm ersichtlich, die eine Existenzbeendigung der historischen Nachbarschaften anordnet oder die in diesem Sinn deutbar wäre. Für Enteignung bestimmt aber schon damals § 365 ABGB nicht nur das Erfordernis des „allgemeinen Besten“ sondern auch „angemessene Schadloshaltung“. Nach dem klaren Wortlaut des § 26 der provisorischen Gemeindeordnung ist daher ein Eigentumsübergang von den Gemeinden nach bürgerlichem Recht auf die neu geschaffene politische Ortsgemeinde moderner Prägung auszuschließen. Aufrecht blieben freilich auch alle Nutzungsbefugnisse, Bezugsrechte etc.
Gegen diese Auffassung wird eingewendet, dass das provisorische Gemeindegesetz auch anordne, dass die Gemeindeangehörigen ein Recht „auf die Benützung des Gemeindegutes nach den bestehenden Einrichtungen“ haben (§ 22 Z 2 prov GemG 1849). Schiff sieht darin eine „Antinomie“ und äußert Zweifel, ob dem Gesetzgeber bewusst gewesen ist, welches Schicksal das Eigentum der früheren Gemeindegenossenschaft erfährt. (Schiff, ÖStW2 (1905) 75f)
Letzteres kann hier offen bleiben, weil Nachforschungen über das „Bewusstsein“ des Gesetzgebers des provisorischen Gemeindegesetzes 1849 letztlich wohl nur zu spekulativen Einsichten führen können. Eine solche Nachforschung ist aber auch deshalb entbehrlich, weil eine „Antinomie“ – dh: ein Widerspruch – nicht besteht. Denn die Anordnung des § 26, der eine Änderung privatrechtlicher Verhältnisse durch das provisorische Gemeindegesetz dezidiert ausschließt, bedeutet nicht, dass es kein Gemeindegut geben könne. Selbstverständlich ist es der Gemeinde gestattet, Vermögen zu erwerben und über dieses zu verfügen. Durch § 26 ist lediglich eine enteignungsgleiche Rechtsnachfolge unmittelbar durch das provisorische Gemeindegesetz ausgeschlossen.
Für eine Auffassung, nach der das provisorische Gemeindegesetz – gleichsam stillschweigend „mitbedacht“ – eine Enteignung anordne, findet sich im Gesetz kein Anhaltspunkt; eine solche Auffassung ist auch deshalb als verfehlt abzulehnen, weil Enteignungen schon durch § 365 ABGB als eine gewisse Besonderheit und als Ausnahme qualifiziert werden. („Äußerster Grenzfall“: Spielbüchler in Rummel3, § 365 Rz 1) Dass der Gesetzgeber des provisorischen Gemeindegesetzes 1849 eine so wichtige und bedeutende Frage nur implizit oder stillschweigend geregelt hätte, ist auszuschließen.
An dieser Situation hat auch die nachfolgende Gemeindegesetzgebung nichts geändert. Das, nach mehreren Anläufen zu einer Reform, schließlich im Jahre 1862 erlassene Gesetz vom 5. März 1862, RGBl 1862/18, brachte „grundsätzliche Bestimmungen zur Regelung des Gemeindewesens“; diese Grundsatzbestimmungen wurden in den folgenden Jahren durch Landesgesetze ausgeführt. Das Gesetz für die „gefürstete Grafschaft Tirol“ vom 9. Jänner 1866 enthielt im § 12 eine, dem § 26 provisorischen Gemeindegesetz gleichlautende Regelung und schloss damit ebenfalls einen ex lege Wechsel des Eigentümers aus.
Dass das prov GemG 1849 jede Äußerung zu Vorgängereinrichtungen der politischen Ortsgemeinden schuldig bleibt, darf bei der Vielzahl von theoretisch möglichen Rechtsverhältnissen in den lokalen Siedlungsverbänden des gesamten Kaisertums Österreich nicht verwundern. (Zur Vielfalt an öffentlichen und privaten „Gemeindeverhältnissen“ in der Zeit vor Inkraftsetzung provisorischen Gemeindegesetz: Swieceny, aaO, 194, welcher für Niederösterreich („Erzherzogthum Österreich unter der Enns) landesfürstliche Gemeinden, freie Gemeinden und untertänige Gemeinden unterscheidet, die neben Pfarrgemeinden, Schulgemeinden und Katastralgemeinden bestanden haben; vgl auch Beimrohr, Die ländliche Gemeinde in Tirol aus rechtsgeschichtlicher Perspektive, Tiroler Heimat 2008, 161 ff). „Gemeinden“ als Zusammenschlüsse der Mitglieder des lokalen Siedlungsverbandes existierten auch in der ersten Hälfte des 19. Jhdts in unterschiedlichsten Varianten und verschiedener Ausprägung, teilweise nach wie vor ausschließlich als Privatgesellschaft der jeweiligen Nachbarn. Eine Auseinandersetzung mit diesen Einrichtungen erschien dem Gesetzgeber des prov GemG 1849 offensichtlich nicht notwendig, was der Neuartigkeit der 1849 geschaffenen politischen Ortsgemeinde durchaus gerecht wird. Dies gilt auch für das Verhältnis zu den in Tirol seit 1819 bestehenden Gemeinden auf Grundlage des GRP 1819.
Was für die politische Ortsgemeinde als Ganzes gilt, gilt auch für allfällige Bestandteile derselben, Fraktionen gem § 5 prov GemG 1849. Ein Übergang von Privatvermögen auf politische Ortsfraktionen hat von Gesetzes wegen nicht stattgefunden.
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