Dr. Dr. hc. Karl von Grabmayr. „Vater des Tiroler Grundbuches“ und „Karl der Große“. Dr. Dr. hc. Karl Grabmayr von Angerheim (* 11. Februar 1848 in Bozen; † 24. Juni 1923 in Meran) war ein Tiroler Jurist und Politiker; Rechtsanwalt in Meran, Höchstrichter in Wien; liberaler Abgeordneter zum Tiroler Landtag (1892 bis 1912); Abgeordneter zum Österreichischen Reichsrat (1897 bis 1907) sowie Mitglied des Herrenhauses (1907 bis 1918); 1905: Ernennung zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts in Wien; 1913: Ernennung zum Präsidenten des Reichsgerichts; 1919: Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes in Wien; ab 1908: Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft . Karl von Grabmayr war einer der glänzendsten politischen Redner seiner Zeit und der genialste politische Kopf des damaligen Tirols. Zusätzlich war und ist er nach wie vor der „höchstdekorierte“ Richter, den Tirol je hervorgebracht hat: Nie ist es einem Tiroler gelungen, an die Spitze eines Höchstgerichts berufen zu werden. Karl von Grabmayr wurde von Kaiser Franz Joseph in die Präsidentschaft des Reichsgerichts (heute Verfassungsgerichtshof) berufen und – nach dem Sturz der Monarchie – aufgrund einstimmigen Regierungsbeschlusses, der damals Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschfreisinnige angehörten, durch Präsident Karl Seitz und Staatskanzler Dr. Karl Renner in das Präsidentenamt am Verwaltungsgerichtshof! Die Tiroler haben ihm vor allem die Einführung des Grundbuches (1897) zu verdanken, das Tiroler Höferecht und das Tiroler Anerbenrecht (1900); auch die Gründung der Tiroler Landeshypothekenbank (1901) ist im wesentlichen die Frucht Grabmayrs nachhaltiger Bemühung.

Dr. Dr. hc. Karl von Grabmayr. „Vater des Tiroler Grundbuches“ und „Karl der Große“. Dr. Dr. hc. Karl Grabmayr von Angerheim (* 11. Februar 1848 in Bozen; † 24. Juni 1923 in Meran) war ein Tiroler Jurist und Politiker; Rechtsanwalt in Meran, Höchstrichter in Wien; liberaler Abgeordneter zum Tiroler Landtag (1892 bis 1912); Abgeordneter zum Österreichischen Reichsrat (1897 bis 1907) sowie Mitglied des Herrenhauses (1907 bis 1918); 1905: Ernennung zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts in Wien; 1913: Ernennung zum Präsidenten des Reichsgerichts; 1919: Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes in Wien; ab 1908: Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft .
Karl von Grabmayr war einer der glänzendsten politischen Redner seiner Zeit und der genialste politische Kopf des damaligen Tirols. Zusätzlich war und ist er nach wie vor der „höchstdekorierte“ Richter, den Tirol je hervorgebracht hat: Keinem anderen Tiroler ist es gelungen, an die Spitze zweier (!) Höchstgerichte berufen zu werden. Karl von Grabmayr wurde von Kaiser Franz Joseph in die Präsidentschaft des Reichsgerichts (heute Verfassungsgerichtshof) berufen und – nach dem Sturz der Monarchie – aufgrund einstimmigen Regierungsbeschlusses, der damals Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschfreisinnige angehörten, durch Präsident Karl Seitz und Staatskanzler Dr. Karl Renner in das Präsidentenamt am Verwaltungsgerichtshof!
Die Tiroler haben ihm vor allem die Einführung des Grundbuches (1897) zu verdanken, das Tiroler Höferecht und das Tiroler Anerbenrecht (1900); auch die Gründung der Tiroler Landeshypothekenbank (1901) ist im wesentlichen die Frucht Grabmayrs nachhaltiger Bemühung.

 

Zwei Höchstrichter – Karl von Grabmayr

von

Dr. Bernd Oberhofer

Karl von Grabmayr studierte in Innsbruck Rechtswissenschaften (Dr. jur. 1871) und eröffnete 1878 in Meran als Advokat seine eigene Kanzlei. Als Vertreter des verfassungstreuen Großgrundbesitzes wurde er 1892 in den Tiroler Landtag gewählt und gehörte diesem bis 1912 an.
1897 wurde er nach dem Kurienwahlrecht in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates, des Parlaments von Cisleithanien, gewählt. 1901 wurde er vom Reichsrat zum Obmann des Verfassungsausschusses gewählt, der erfolglos die Trientiner Autonomiefrage behandelte.
Im Tiroler Landtag wurde Grabmayr vor allem zur Sicherung des Grundbesitzes aktiv. Auf seine Initiative wurde das Tiroler Grundbuch angelegt, in dem die Eigentumsrechte an allen Grundstücken amtlich verzeichnet wurden. Mit einem speziellen Höferecht wurde bestimmt, dass bäuerliche Anwesen nach dem Tod des Bauern stets nur an einen Erben übergehen und nicht zersplittert werden durften. Damit sollte dem Entstehen unwirtschaftlich kleiner Anwesen entgegengetreten werden.
1906 gab Grabmayr seine Rechtsanwaltskanzlei in Meran auf und übersiedelte nach Wien; bereits 1905 war er zum Vizepräsidenten des Reichsgerichts berufen worden, dem Vorläufer des heutigen Verfassungsgerichtshofes.
1907 wurde Grabmayr, möglicherweise des neuen Reichsratswahlrechts wegen, nicht mehr ins Abgeordnetenhaus gewählt, aber von Kaiser Franz Joseph I. in das Herrenhaus, das Oberhaus des Reichsrates, berufen.
1913 berief der Kaiser Karl von Grabmayr zum Präsidenten des Reichsgerichts. Diesem folgte mit 25. Jänner 1919 der Verfassungsgerichtshof nach, zu dessen erstem Präsidenten vom deutschösterreichischen Staatsratsdirektorium am 14. Februar 1919 Paul Vittorelli ernannt wurde. Am gleichen Tag wurde Karl von Grabmayr vom Staatsratsdirektorium als Präsident des am 6. Februar 1919 konstituierten Verwaltungsgerichtshofes ernannt.

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Karl v. Grabmayr war ein hervorragendster Tiroler seiner Zeit. Vom einfachen „Landadvokaten“, wie er selbst sagte, in Meran (1878 bis 1891) schwang er sich zu einer führenden Persönlichkeit im Tiroler Landtag (1892 bis 1912), im Wiener Abgeordnetenhaus (1898 bis 1906) und im Wiener Herrenhaus (1907 bis 1918) und in den österreichisch-ungarischen Delegationen (1910 bis 1914) auf sowie zu einem ersten Juristen im Staate. Von 1905 stand er als Vizepräsident und ab 1913 als Präsident an der Spitze des k.k. Reichsgericht; von 1908 an präsidierte er die Wiener Juristische Gesellschaft; schließlich leitete er in der ersten Republik (1919 bis 1921) bis zu seinem Übertritt in den Ruhestand den Verwaltungsgerichtshof in Wien. Und das alles lediglich aus dem Leistungsprinzip heraus, ohne unsachliche Protektion, ja trotz mancher grundsätzlicher Einstellungen, die so gar nicht danach angetan waren: Seine liberale Gesinnung hatte ihm, zumal in Tirol, von vornherein in die Minderheit verwiesen und auch späterhin richtete er die Segel nicht nach dem Winde!

Mitentscheidend für diesen außerordentlichen Erfolg war Karl v. Grabmayr’s Redekunst. Man darf ihn als einen der glänzendsten politischen Redner des alten kaiserlich-königlichen Österreich bezeichnen. Es gab ein richtiges Aufhorchen, als er zum ersten Mal im Tiroler Landtag das Wort ergriffen; solche Reden waren hier noch nicht vernommen worden. Und jede neue Session hob seinen Ruf. Die Beherrschung der Materie, der Gedankenreichtum, die Gewandtheit des Ausdrucks, dazu Schwung und Wärme, Ernst und Humor, zog alle, auch Gegner, in den Bann. Selbst der reservierte Stadthalter, Graf Merveldt, konnte nicht umhin, ganz spontan seiner Bewunderung Ausdruck zu geben. Und doch waren es, dem Rahmen nach, erst Vorspiele zu Grabmayrs großen Reden im Wiener Abgeordneten- und Herrenhaus und in den Delegationen. Neben der Eleganz der Form und der Meisterschaft des Vortrags wirkte die Kraft der Überzeugung, die aus seinen Worten sprach.

Eine Auswahl von Grabmayrs Reden haben seine Freunde vom verfassungstreuen „Tiroler Großgrundbesitz“, Georg Freiherr von Eyrl, Karl Graf von Lodron, Dr. Anton Freiherr von Longo, Dr. Otto von Sölder und Dr. Paul Freiherr von Sternbach, anlässlich seines Scheidens aus dem Tiroler Landtag unter dem Titel „Von Badeni bis Stürgkh“ in Buchform herausgegeben (Wien, Tempsky, 1912, 197 Seiten).

Aber auch als Wirtschaftsjurist hat sich Grabmayr hervorgetan. Seine Arbeiten standen im engsten Zusammenhang mit dem politischen Wirtschaftsleben und erlangten dadurch unmittelbar praktische Bedeutung – die Universität Innsbruck hat sie mit zum Anlass genommen, Grabmayr das Ehrendoktorat der Staatswissenschaften zu verleihen.

So darf  Karl v. Grabmayr auch über seine Zeit hinaus als einer der hervorragendsten Tiroler betrachtet werden. Mit Recht nannten ihn seine Zeitgenossen scherzhaft „Karl den Großen“. Im Blick auf seine Verdienste um die Einführung des modernen Grundbuchs in Tirol lautet ein anderer zeitgenössischer Ehrentitel für diesen großen Tiroler Politiker und Juristen: „Vater des Tiroler Grundbuchs“.

Aus dem Vorwort zu: Karl v. Grabmayr, Erinnerungen eines Tiroler Politikers 1892 bis 1920. Aus dem Nachlasse des 1923 verstorbenen Verfassers, von o. Univ.-Prof. Dr. R. Klebelsberg Schlern-Schrift Nr. 135 (1954)

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DER KAMPF UM DAS GRUNDBUCH 1892 bis 1896 – ODER
WARUM KARL VON GRABMAYR DER VATER DES TIROLER GRUNDBUCHES GENANNT WIRD

Sofort nach Dr. Karl von Grabmayrs Eintritt in den Tiroler Landtag im Jahr 1892 wurde er vor eine erste große Aufgabe gestellt: Die Durchführung der Reform der öffentlichen Bücher. Während in allen anderen österreichischen Ländern seit Maria Theresia das Grundbuchsystem zur Herrschaft gelangt war, hatte sich in Tirol und Vorarlberg das „Verfachbuch“ erhalten, eine höchst unvollkommene Form des öffentlichen Buches, die den an eine solche Institution zu stellenden Anforderungen in keiner Weise genügte. Die Mängel dieser Einrichtung wurden umso sichtbarer, je mehr im Zuge moderner Wirtschaftsentwicklung auch in Tirol die Liegenschafts- und Realkredite zunahmen. So bildete die Abschaffung des Verfachbuchs und die Ersetzung dieser Einrichtung durch das moderne Grundbuch im Laufe des 19. Jahrhunderts eine in Tirol stets von neuem auftauchende Frage, die trotz endloser Verhandlungen und Erhebungen nie zur Lösung gelangen konnte; dies deshalb, weil die herrschende konservative Partei am Verfachbuch als einer „alttirolischen Einrichtung“, einer berechtigten „Eigentümlichkeit des Landes“ zäh festhielt.

In den 1830er Jahren war es die ständische Vertretung unter der Führung Josef von Giovanelli, in den 1860er Jahren die konservative Landtagsmehrheit unter der Führung von Ignaz von Giovanelli, die jeweils auf Einführung des Grundbuchs gerichtete Wünsche und Bemühungen der Zentralregierung durchkreuzten. Dabei anerkannte man allemal die Mängel und die Reformbedürftigkeit der Verfachbücher; man vermochte jedoch den Weg zu einer wirksamen Reform nicht zu finden. Für die schreiendsten Übelstände schuf man Abhilfe durch die in den Jahren 1869 bis 1872 durchgeführten „Hypothekenerneuerungen“, die jedoch trotz großen Kostenaufwandes und empfindlicher Behelligung der Bevölkerung nur vorübergehende Erleichterung brachte.

DIE TIROLER STÄNDE MAUERN

Im Jahr 1891 fand sich die Regierung neuerlich veranlasst durch eine Enquete den Zustand der öffentlichen Bücher zu erheben und die Reformfrage noch einmal dem Tiroler Landtag zu unterbreiten. Der Landtag wählte einen Grundbuchausschuss, dem fünf Klerikale und drei Liberale angehörten. Bei den Ausschussverhandlungen kam bald zu Tage, dass Karl von Grabmayr der einzige war, der über die Grundbücherfrage in ihrem ganzen, auch den Tiroler Berufsjuristen meist unbekannten, Umfang Bescheid wusste. So fiel Grabmayr ganz von selbst die Rolle des Wortführers der Grundbuchfreunde im Ausschuss des Tiroler Landtages zu und sie blieb ihm widerspruchslos in dem mehrjährigen um das tirolische Grundbuch geführten Kampf. Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftreten übertrug ihm der Ausschuss trotz seiner mehrheitlich dem Grundbuch abgeneigten Stimmung einhellig die Berichterstattung für den Landtag.

Mit Spannung sah das ganze Land der Verhandlung entgegen, die im Landtag am 02. April 1892 über den Bericht des Grundbuchausschusses stattfand. Die Entscheidung fiel gegen das Grundbuch. Noch einmal siegte die konservative Tradition, der Widerwille gegen die Neuerung, das verständnislos aufgegriffene Schlagwort; noch einmal unterlag die Freude der Reform trotz der klaren Argumente, mit denen Karl von Grabmayr als Referent für die Notwendigkeit der Grundbucheinführung eintrat. Dreimal ergriff Grabmayr in dieser denkwürdigen Sitzung des Tiroler Landtags das Wort und – obwohl geschlagen – wurde Karl von Grabmayr doch zum Helden des Tages. Die ehrende Anerkennung des ganzen Landtags tröstete ihn darüber, dass sein Antrag bei der Abstimmung in später Abendstunde mit 19:24 Stimmen in der Minderheit blieb.

Das Grundbuch war damit neuerlich gefallen; die meisten glaubten für immer! Karl von Grabmayr sah die Niederlage nicht als entscheidende Episode und war fest entschlossen, den Kampf bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen und ihn nicht mehr ruhen zu lassen, bis endlich eine positive Entscheidung erreicht sei. Tirol sollte nicht länger ein kurioser Ausnahmsfall im Kreis der Kronländer sein.

KARL VON GRABMAYR GIBT NICHT AUF

Kaum war der Tiroler Landtag im September 1892 wieder versammelt, begegnete dieser als erstem Verhandlungsgegenstand einem von Karl von Grabmayr eingebrachten Antrag, einen achtgliedrigen Ausschuss mit der Beratung über die Reform der öffentlichen Bücher zu betrauen. In seiner Begründungsrede in der Sitzung vom 28. September 1892 betonte Grabmayr zum großen Missvergnügen der konservativen Mehrheit die Unhaltbarkeit des vom Landtag am 02. April 1892 gefassten Beschlusses. Grabmayr in dieser Rede: „Es gibt Majoritäten, die schon bei ihrer Bildung den bösen Keim der Schwindsucht in sich tragen und es gibt Minoritäten, in denen jeder Kundige den Kristallisationskern für eine künftige Mehrheit erblickt. Schon haben sich in dieser Frage zwei der hervorragendsten Mitglieder uns [den Grundbuchsfreunden] ankristallisiert und das weitere Fortschreiten dieses Prozesses, der auf der Affinität klarer Sachkenntnis beruht, können und werden Sie nicht aufhalten. … So wie in der Welt der Körper die lebendige Kraft das Produkt von Masse und Energie ist, so behauptet auch in der Welt der Geister, in der Politik, neben dem einen Faktor der Menge, der zweckbewusste Wille als zweiter gleichberechtigter Faktor seinen Rang.“

MAJORITÄTEN MIT SCHWINDSUCHT

Eine so selbstbewusste Sprache konnte Karl von Grabmayr nur führen, weil er aufgrund eingehenden Studiums von dem unausbleiblichen Sieg des Grundbuchs innigst überzeugt war. Der konservativen Mehrheit, die ja die Unhaltbarkeit des bestehenden Zustandes nicht zu leugnen vermochte, blieb nichts übrig, als seinen Antrag anzunehmen. In dem sohin gewählten Buchreformausschuss vertrat Grabmyr den Standpunkt, dass der Landtagsbeschluss vom 02. April 1892 den Grundbuchsgegnern die Pflicht auferlege, mit konkreten Vorschlägen über die von ihnen befürwortete Reform des Verfachbuches hervorzutreten. Wenn man schon das Grundbuch in Tirol nicht wolle, so müsse man ein zweckmäßig reformiertes Verfachbuch schaffen. Daher sei aus den Reihen der Verfachbuchfreunde ein Referent zu wählen, der die Frage studieren und dem Landtage im nächsten Sessionsabschnitt bestimmte Reformanträge vorlegen solle. Gegen diese Argumentation war keine Einwendung möglich und so wurde der angesehenste Jurist der konservativen Majorität, Dr. Josef Wackernell, als Referent mit der Aufgabe, das reformierte Verfachbuch zu erfinden, betraut.

Bei diesem Vorgang leitete Grabmayr die Erwägung, dass nach dem Landtagsbeschlusse vom 02.April 1892 die Aktion zugunsten des Grundbuches nicht eher mit Erfolg aufgenommen werden könne, bevor es nicht gelungen sei, die Unmöglichkeit einer brauchbaren Verfachbuchreform auf eine für jeden Unbefangenen überzeugende Art zu beweisen. Die Verfachbuchreformen ad absurdum zu führen, war das Ziel seiner Taktik.

Mit dieser Aktion im Landtage gab Grabmayr sich nicht zufrieden. Obwohl man die Grundbuchsfrage in Tirol seit nahezu hundert Jahren diskutierte, war doch fast niemand im Lande mit dem Wesen dieser Frage vertraut. Fanden schon die tirolischen Juristen nur ausnahmsweise einen Anlass, die Einrichtung des Grundbuches und das Grundbuchsrecht zu studieren, war vollends für die breiten Bevölkerungsschichten das Grundbuch ein sagenhaftes Ding, über welches mitunter ganz ungeheuerliche Fabeln kursierten. Es bestand ebensowenig über die rechtliche Natur des tirolischen Verfachbuchs, über dessen grundsätzliche Mängel und deren praktische Folgen, hinlängliche Klarheit. Hier galt es eine Literaturlücke auszufüllen und in einer monografischen Darstellung die Unbrauchbarkeit des Verfachbuches und die Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verfachbuchreform mit unanfechtbaren juristischen Argumenten zu beweisen.

VERFACHBUCH ODER PUBLICA FIDES?

So entstand Grabmayrs erste schriftstellerische Arbeit: Verfachbuch oder publica fides? Ein Beitrag zur Reform der öffentlichen Bücher in Tirol (Meran, F.W. Ellmenreich’s Verlag, Februar 1893). In der Vorrede der Broschüre heißt es: „Drei Wälle sind es, hinter denen sich in Tirol wie überall alter Schlendrian gegen die andringenden Reformen verschanzt: Vorurteil, Gewohnheit, Ängstlichkeit. An diesen dicken Wällen hat sich schon mancher gute Kopf wundgerannt, aber auch für diese Wälle kommt einmal die Zeit, wo sie morsch und bröckelig werden, und dann genügt oft ein letzter Stoß, sie zum Einsturz zu bringen. Wenn dieses Buch als ein solcher Stoß wirkt, ist meine Mühe reichlich gelohnt.“

Der Erfolg entsprach vollkommen Grabmayrs Erwartung. Auch die konservativen Kreise des Landes konnten sich des überzeugenden Eindrucks dieser die Reformfrage in ihrem ganzen Umfang erschöpfenden Beweisführung nicht erwehren. Das leitende konservative Blatt, die „Neuen Tiroler Stimmen“ vom 07.März 1893 fällte über sein Buch folgendes Urteil: „Konnte man schon im letzten Landtage, vor welchem Herr von Grabmayr als Berichterstatter des Grundbuchausschusses als Antragsteller die Sache des Grundbuches verfocht, dessen Meisterschaft der Rede bewundern, so liefert das vorliegende Werk den Beweis, das sein Verfasser auch ein Meister der Feder ist. Die lebendige, mit geistreichen Gedanken gewürzte Schreibweise lässt den Leser oft vergessen, dass er sich mit einem Gegenstand beschäftigt, welcher so trocken und so poesielos ist wie ein Verfachbuch oder Grundbuch nur immer sein kann. Man wird daher mit wahrem Vergnügen diese neue Erscheinung auf dem Büchermarkte lesen…dem Herrn von Grabmayr gebührt jedenfalls das Verdienst, durch dieses Buch zur Klärung der Angelegenheit einen bedeutenden Beitrag geliefert zu haben.“

Auf die Kreise der Verfachbuchfreunde übte das Buch eine geradezu lähmende Wirkung. Man fand sich total geschlagen und versuchte nicht einmal eine Entgegnung. In einem am 18.März 1893 im Liberalen Verein in Innsbruck gehaltenen Vortrage konnte Grabmayr bereits den Sieg des Grundbuchs proklamieren und seine Rede mit den zuversichtlichen Worten schließen: „Sollte es anders kommen, sollte die belagerte Majorität unter dem Einfluss einiger rücksichtsloser Fanatiker nach dem Beispiel der alten Garde lieber sterben als sich ergeben: Nun dann soll sie den Kampf haben, dann werden wir unter dem flatternden Feldzeichen des Fortschrittes, der Wissenschaft und Kultur die Verfachbuchfestung erstürmen. Mit allen Mitteln des äußersten Widerstandes kann die konservative Majorität nur mehr verzögern, nimmermehr verhindern den endlichen Sieg des Grundbuchs.“

Immerhin mussten noch volle drei Jahre vergehen, bis sich in einem neugewählten Landtag der Sieg des Grundbuchs endgültig entschied. Schritt für Schritt musste man die hartnäckigen Gegner aus ihren Positionen verdrängen. Zunächst hatte eine große, von der Regierung im Frühjahr 1893 durchgeführte Enquete ergeben, dass das Hauptargument der Grundbuchgegner, das Land wolle vom Grundbuch nichts wissen, längst nicht mehr wahr sei. Auch in Laienkreisen hatte sich ein Stimmungsumschwung vollzogen und allerorten erklärten sich große Mehrheiten der einvernommenen Vertrauensmänner für die Einführung des Grundbuchs.

VERFACHBUCHLIEBHABER KAPITULIEREN

Vollends ein tödlicher Schlag traf die landtäglichen Verfachbuchfreunde, als in dem neu versammelten Landtag ihr Kronjurist Dr. Josef Wackernell sich zur Erklärung gezwungen sah, dass auch er sich von der Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verfachbuchreform überzeugt habe. Grabmayrs Taktik trug nun ihre Früchte. Auch der Verfachbuchreferent Dr. Wackernell musste notgedrungen anerkennen, dass nach dem Fallenlassen der Verfachbuchreform nichts anderes übrig bliebe, als die Einführung des Grundbuches. Mit diesem Übertritt des Verfachbuchgenerals in das Lager der Gegner war das Schicksal des tirolischen Verfachbuches besiegelt. Von nun an galt es nur mehr die Indolenz der Regierung zu überwinden, die sich nur zögernd zur Einbringung der nötigen Gesetzesentwürfe entschloss. Auf Grabmayrs im Sommer 1893 im Landtag eingebrachte Interpellation stellte der Stadthalter die baldige Fertigstellung der die Grundbuchseinführung betreffenden Vorlagen in Aussicht. Mittlerweile setzte Grabmayr seine Agitation fort; dies durch die Veröffentlichung der Flugschrift: „Das Grundbuch im Tiroler Landtag“, die ein Resümee aller die Buchreform betreffenden Vorgänge und eine Beleuchtung der hilflosen Zerfahrenheit im Lager der Verfachbuchfreunde enthielt. Im ganzen Jahr 1894 gab es keinen Landtag. Als endlich im Jahr 1895 der Landtag wieder zusammentrat und noch immer keine Grundbuchsvorlagen auf seinem Tische fand, brachte Grabmayr in einer Rede die Enttäuschung und den Unwillen der Reformfreunde zu lebhaftem Ausdruck. Der Stadthalter wusste seinen von ihm als glänzend anerkannten Ausführungen mit nichts anderem zu begegnen als mit der erneuten Versicherung, dass die Regierung an der Absicht, das Grundbuch in Tirol einzuführen, unentwegt festhalte.

Im Landtag des Jahres 1896 löste die Regierung endlich ihr Wort ein. Im Ausschusse, dem die beiden Vorlagen (ein Landesgesetz und ein gewisse wünschenswerte Erleichterungen des allgemeinen Grundbuchsrechts gewährendes Reichsgesetz) zur Vorberatung zugewiesen wurden, entspann sich ein letzter Entscheidungskampf, in welchen die vom Abgeordneten von Zallinger geführten Grundbuchsgegner nur mit knapper Minorität unterlagen. Obwohl der von Grabmayr verfasste Ausschussbericht noch einmal mit großer Klarheit die zwingenden Gründe für die vom Landtag zu treffende Entscheidung vortrug (Beilage 87 ex 1896), so herrschten doch über den Ausgang bis zum letzten Moment aufgeregte Zweifel, da die bäuerliche Gruppe, deren Stimmen den Ausschlag geben mussten, noch immer unentschlossen schwankte. Am 05. Februar 1896 kam es zur Verhandlung. Als Vertreter der Familientradition, als Erbe historischer Vorurteile trat der Abgeordnete von Zallinger in diesen letzten Kampf ein, zu dessen erfolgreicher Führung es ihm vor allem an juristischem Wissen und sachlicher Beherrschung des wirklichen Stoffes gebrach. Mit höflicher Ironie hielt Karl von Grabmayr diesem schwachen Gegner gegenüber unter lebhaftem Beifall des Landtages dem Verfachbuch die Leichenrede. Unter dem Eindruck dieser mit so ungleichen Kräften geführten Debatte entschied sich auch die Mehrheit der bäuerlichen Abgeordneten für das unvermeidliche Reformwerk und so wurde die Einführung des Grundbuches im Tiroler Landtag mit großer Mehrheit von 30 gegen 12 Stimmen am 05. Februar 1896 beschlossen. Der glückliche Ausgang eines hundertjährigen Kampfes wurde im ganzem Land mit wärmstem Beifall begrüßt.

Der allgemeinen Stimmung gab die „Bozner Zeitung“ vom 7. Februar 1896 Ausdruck, indem sie unter anderem sagte: Es zeigt sich, dass nicht umsonst das Banner des Fortschritts auch in Tirol entfaltet wurde und dass es Bekenner findet, welche es zum Siege zu führen wissen. Und es zeigt sich, dass man eine gute Sache nur mit der nötigen Energie und Überzeugungstreue zu verfechten braucht, um doch endlich einen vollen Sieg erfechten zu dürfen. Herr von Grabmayr hat den Dank des ganzen Landes in reichem Maße verdient, denn er hat diesen Sieg durch seine Ausdauer und das Geschick, mit dem er die Sache vertrat, möglich gemacht. Er hat sich nicht abschrecken lassen von allem Pessimismus und aller Indolenz, welche mit Achselzuckender Resignation auf die Vergeblichkeit jeder Anstrengung hinwiesen, und er hat, beseelt von der Güte der von ihm mit Sachkenntnis verfochtenen Angelegenheit, auch warme, oft weit über das ihm naheliegende Schönrednertum hinausgehende Worte gefunden.

VATER DES TIROLER GRUNDBUCHES

Für Karl von Grabmayr war es ein stolzes Bewusstsein, dass es ihm gelungen war, was vor ihm so manche hervorragenden Männer, alle ausgezeichnete Juristen, vergeblich versucht. Benoni, Kiechl, Haßlwanter, Mages – sie alle hatten sich um die Reform der öffentlichen Bücher bemüht und sie alle waren an den eigentümlichen Schwierigkeiten der Aufgabe gescheitert. Dass Grabmayr gerade in den Landtag eintrat, als die reif gewordene Frage von Neuem zur Lösung drängte, war eine ihm widerfahrene Gunst des Schicksals. Halb im Scherz, halb im Ernst nannte man Karl von Grabmayr in tirolischen Juristenkreisen den „Vater des Tiroler Grundbuches“.

Auch auf die weitere Entwicklung des Tiroler Grundbuchwesens nahm Karl von Grabmayr nachhaltigen Einfluss. Nachdem der Landtag im Frühjahr 1897 auf seinen Bericht (Beilage 39 ex 1897) hin beschlossen hatte, dass die Grundbuchsgesetze sofort in Kraft zu treten haben, begann ein neues Stadium des Reformwerkes. Nun galt es behufs rascher und zweckmäßiger Durchführung der Reform die herkömmliche Indolenz und Schwerfälligkeit der Regierung zu überwinden und die Bereitstellung genügender Geldmittel für die Grundbuchanlegung zu erwirken. Schon in einem Aufsatz in der Meraner Zeitung vom 06. Dezember 1896 hatte Karl von Grabmayr in großen Zügen einen Plan entwickelt, wie das große Werk durch die ähnliche Vermehrung der Grundbuchskommissionen und die von Bezirk zu Bezirk fortschreitende Arbeit zweckmäßig gefördert und in absehbarer Zeit zu Ende geführt werden sollte. Durch Abstellung von vier Grundbuchskommissionen im Herbst 1897 wurde zunächst seinen Anträgen entsprochen, dann aber erlahmte der Eifer der Regierung und der Fortschritt geriet ins Stocken. Im Landtag des Jahres 1898 brachte Karl von Grabmayr den Gegenstand wieder zur Sprache und veranlasste einen Landtagsbeschluss, der von der Regierung eine rasche Förderung der Grundbuchsarbeiten verlangte. Doch weder dieser Beschluss, noch eine von ihm im Landtage des Jahres 1899 eingebrachte Interpolation bewogen die Regierung zur einer Änderung des unerträglich langsamen bürokratischen Tempos. Im Landtage des Jahres 1900 unternahm Karl von Grabmayr eine Aktion, um eine bei der Grundbuchsanlegung aufgetauchte, die bäuerlichen Interessen empfindlich berührende Schwierigkeit zu beheben. Es handelte sich um die Rechtsverhältnisse der sogenannten „Teilwälder“. Über seinen Antrag wurde vom Landtag ein Beschluss gefasst, der den Waldbesitzern zumindest die grundbücherliche Erfassung ihres Waldbesitzes als Servituten auf Gemeinde- bzw Fraktionsgrund ermöglichte.

Als Karl von Grabmayrs in Wien immer wieder bei den Ministern der Justiz und der Finanzen wegen des schleppenden Ganges der tirolischen Grundbuchanlegung erhobenen Vorstellungen erfolglos blieben, berief er im Frühjahr 1902 eine Versammlung aller tirolischen Reichsratsabgeordneten ein und erwirkte für sich das Mandat, bei der Budgetverhandlung im Namen aller Tiroler über die unverantwortliche Zurücksetzung des Landes Klage zu führen und durch ein Votum des Abgeordnetenhauses im Reichsrat Abhilfe zu erzwingen. Diese Aktion und die derselben entsprechende Budgetrede vom 12. Mai 1902 hatte endlich den Erfolg, dass sich die Regierung zur Erhöhung des für das tirolische Grundbuch geforderten Kredits und zur Aufstellung von fünf neuen Anlegungskommissionen bestimmt fand.

Aus: Karl von Grabmayr, Erinnerungen eines Tiroler Politikers 1892 bis 1920. Aus dem Nachlasse des 1923 verstorbenen Verfassers. Schlern-Schriften 135 (1955), Seite 14ff.

 

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Bernd Oberhofer