Dr. Otto Bauer (geboren am 5. September 1881 in Wien; gestorben am 5. Juli 1938 in Paris) war österreichischer Politiker, führender Theoretiker der Sozialdemokratie seines Heimatlandes und Begründer des Austromarxismus. Er war von 1918 bis 1934 stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und 1918 bis 1919 Außenminister der Republik Deutschösterreich
Otto Bauer war der Sohn des wohlhabenden jüdischen Textilfabrikanten Philipp Bauer, der sich zum Liberalismus bekannte. Er absolvierte die Volksschule in Wien und das Gymnasium in Wien, Meran und Reichenberg. Bauer studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften und promovierte 1906. Bauer sprach Englisch und Französisch und nach seiner Kriegsgefangenschaft auch Russisch.
Otto Bauer begann 1900 sich in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) politisch zu betätigen. Seine politischen Interessen spiegelten sich auch in seinen Studien. Neben Rechtswissenschaften, Geschichte, Sprachen und Philosophie inskribierte er auch Nationalökonomie und Soziologie. Aufmerksam wurde man auf ihn, als er 1907, erst 26 Jahre alt, das 600 Seiten starke Werk Nationalitätenfrage und Sozialdemokratie vorlegte.
1907 errang Otto Bauer bei den Reichsratswahlen ein Mandant für die SDAP und er wurde auf Wunsch von Parteichef Victor Adler Sekretär des Klubs sozialdemokratischer Abgeordneter im Reichsrat. Daneben war er 1907 Mitgründer und bis 1914 Redaktionsleiter der sozialdemokratischen Monatsschrift Der Kampf; von 1912–1914 fungierte er auch als Redaktionsmitglied der Arbeiter-Zeitung, des Zentralorgans der Partei. Otto Bauer verfasste an die 4.000 Zeitungsartikel!
Im November 1914 geriet Dr. Otto Bauer in russische Kriegsgefangenschaft. Im September 1917 konnte als „Austauschinvalide“ nach Wien zurückkehren. In Russland war er zum überzeugten Anhänger des „marxistischen Zentrums“ geworden. Nach dem Ableben Victor Adlers im November 1918 holte man Bauer ins Führungsgremium der SDAP. Otto Bauer wurde im November 1918 Nachfolger des ersten Ministers im Außenamt Viktor Adler. Im März 1919 wurde er wurde von der Nationalversammlung zum Leiter des Außenamtes der Staatsregierung Renner II gewählt. Wegen der Unmöglichkeit „Deutschösterreich“ an Deutschland anzuschließen, beendete Otto Bauer am 26. Juli 1919 seine Karriere als Regierungsmitglied.
Bauer war (bis 1934) als Abgeordneter und von März bis Oktober 1919 mit Ignaz Seipel in der vom Parlament eingesetzten „Sozialisierungskommission“ tätig. Gemeinsam mit den Führern der Arbeiter- und Soldatenräte, Friedrich Adler und Julius Deutsch, gelang es Bauer, die Arbeiterschaft auf Parteilinie zu halten und die beiden Putschversuche der Kommunisten (12. November 1918 und 14. Juni 1919) im Keim zu ersticken.
1926 beschloss die SDAP ihr Linzer Programm, das die Handschrift Otto Bauers zeigte. Bauer lehnte mit Zustimmung von Seitz und Renner 1931 und 1932 Koalitionsangebote der Bundeskanzler Ignaz Seipel und Engelbert Dollfuß (CS) ab. Im Mai 1933 erklärte Bauer bei einer Parteiversammlung, die Gefahr Habsburg sei keineswegs geringer als die Gefahr Hitler.
Die Februarkämpfe 1934 trieben Bauer in das Exil nach Brünn; er gab bekannt, nur mehr als Berater, Publizist und Verwalter der geretteten Parteigelder zur Verfügung stehen, ohne Führungspositionen zu übernehmen. Im Jahr 1938 emigrierte Bauer nach Brüssel bzw Paris. Otto Bauer war prominentes Mitglied und Herausgeber der Zeitung Der sozialistische Kampf. Bauer, der der Entwicklung seit Bismarck zum Trotz von Deutschland als Hort des Geistes und des Fortschritts schwärmte, sprach sich in seinem 1938 in Paris verfassten politischen Testament neuerlich für die gesamtdeutsche Revolution (inklusive Österreich) aus, weil er die sozialistische Revolution in Österreich allein nicht für durchsetzbar hielt. Die Erklärung Renners für den Anschluss 1938 hielt er für richtig. Bauer hat sich immer als Deutscher betrachtet und gefühlt.
Am 5. Juli 1938 erlag Otto Bauer in Paris einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem Friedhof Père Lachaise gegenüber dem Denkmal für die Kämpfer der Pariser Kommune von 1871 beigesetzt. 1948 wurde seine Urne nach Wien gebracht und am 12. November 1950 schließlich in ein ehrenhalber gewidmetes Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 24, Reihe 5, Nummer 3) umgebettet, das sich neben jenen von Victor Adler und Karl Seitz befindet. Im Jahr 1949 wurde in Wien Mariahilf (6. Bezirk) die Otto-Bauer-Gasse nach ihm benannt.
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Als führender Theoretiker der Österreichischen Sozialdemokratie und Begründer des Austromarxismus agierte Dr. Otto Bauer viele Jahre am äußerst linken Spektrum der Österreichischen Sozialdemokratie. Bauers revolutionsaffine Rhetorik propagierte im Sinn der Thesen von Karl Marx den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus; dies als historische Notwendigkeit. Kreisky sprach im Blick auf Otto Bauers marxistisch beeinflusste Kampfrethorik von furchtbaren verbalen Fehlern. Andererseits, betont Kreisky, habe der Verbalradikalismus des Otto Bauer sehr dazu beigetragen habe, die Spaltung der österreichischen Sozialdemokratie zu verhindern.
Otto Bauers vielschichtige Ideenwelt entsprach einer Mischung von objektivierter Analyse und Wunschdenken, Marxismus und anderen zeitbedingten Einflüssen. Aus der Erkenntnis, dass eine sozialistische Revolution alleine mit der Arbeiterschaft in den Städten nicht zu erreichen sei, resultierten seine umfangreichen Kampfschriften zur sozialistischen Agrarpolitik: „Der Kampf um Wald und Weide“ (1925); „Sozialdemokratische Agrarpolitik“ (1926) und „Das sozialdemokratische Agrarprogramm“ vom 16.11.1925. Im Ergebnis ging es Otto Bauer darum, auch dem „ländlichen Proletariat“ ein Revolutionsziel vor Augen zu führen; dies in Erscheinung der Allmenden, an denen in der Zeit nach einer sozialistischen Revolution allen Gemeindebewohnern und nicht nur den eingesessenen Bauern ein gleicher Anteil zuerkannt werden sollte.
RÄUBER IN DEN GEMEINDEVERTRETUNGEN
Anknüpfend an die Thesen des Walter Schiff, wonach in Wahrheit die moderne politische Ortsgemeinde Eigentümerin aller Allmendgründe sei, erklärt Otto Bauer die realen Eigentumsverhältnisse als Ergebnis von Willkür und Machtmissbrauch. Otto Bauer dazu in seiner Kampfschrift „Der Kampf um Wald und Weide“: Der Ausgang des Kampfes wurde vor allem durch die Machtverhältnisse innerhalb der Dörfer bestimmt. Die Gemeindevertretungen wurden aufgrund von Wahlordnungen gewählt, die das Dorfproletariat vom Wahlrecht ausschlossen. Die privilegierte Schicht verfügte daher über die Mehrheit in der Gemeindevertretung. Die Gemeindevertretungen, deren Aufgabe es gewesen wäre, das Gemeindegut, das die Privilegierten rauben wollten, zu verteidigen, waren selbst Organe der privilegierten Räuber.“ (Otto Bauer, Der Kampf um Wald und Weide, Werksausgabe Bd 3, 135)
Kritik:
Es versteht sich von selbst, dass Otto Bauer der Frage, ob und inwieweit die modernen, politischen Ortsgemeinden tatsächlich ein Eigentum an den historischen Nachbarschaftsliegenschaften erworben hätten, wenig Beachtung schenkte. Sein Interesse war es vielmehr, wahre Eigentümer als Privilegienritter und „Räuber“ darzustellen, deren Treiben durch die sozialistische Revolution ein Ende zu setzen sei.
Auf dem Niveau solcher politischer Agitation kann freilich eine juristische Auseinandersetzung nicht mehr geführt werden!
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MP