Die Grundbuchanlegung war in Tirol lange Zeit Streitobjekt. Die Tiroler wollten beim bewährten Verfachbuch bleiben

Die „Grundbuchklagen“ von vier Tiroler Agrargemeinschaften beschäftigen derzeit die Tagespresse. Bei der Prüfung der Gemeindegutseigenschaft sei unberücksichtigt geblieben, dass die ursprüngliche Grundbucheintragung auf „Gemeinde“ bzw. „Gemeindefraktion“ unrichtig war. Das Zivilgericht, das für die Grundbücher zuständig ist, solle nun die Verhältnisse überprüfen. GUT recherchiert zur Tiroler Grundbuchanlegung und zum Beispiel zweier Almliegenschaften in Jerzens.

Die Grundbuchanlegung erfolgte in Tirol reichlich verspätet erst ab der Jahreswende 1897/98. Die Tiroler wollten an „ihrem Verfachbuch“ festhalten. In einem Bericht an den Tiroler Landtag aus dem Jahr 1862 hatte der Landtagsabgeordnete und Oberlandesgerichtsrat in Innsbruck, Johann Kiechl, große Schwierigkeiten bei der Systemumstellung vorhergesagt: Er befürchtete eine Menge Besitzreklamationen und Eigentumsprozesse. Denn, so Johann Kiechl im Jahr 1862: „Bei Erörterung der Eigentumsverhältnisse tauchen oft die schwierigsten Rechtsfragen auf, besonders zwischen Gemeinden, Gemeindefractionen, Nachbarschaften und bevorrechteten Klassen, die oft nur auf Grund des bisherigen Besitzes entschieden werden können.“ Andere Bundesländer hatten bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Walter Schiff, ein Wiener Agrarökonom, resümierte 1898: Nun war aber in den Grundbüchern bald ‚die Gemeinde‘ zu Eigentum eingetragen, bald ‚die Bauernschaft‘, die ‚Nachbarschaft‘, die ‚Bauern‘, die ‚Rustikalisten‘ oder ‚die jeweiligen Besitzer der Bauernhöfe‘. Vor dem Jahr 1849 waren dies alles Synonyma für die ‚Realgemeinde‘ gewesen. „Die Verschiedenheit der unter dem gleichen Namen ‚Gemeinde‘ begriffenen Personen vor und nach dem Jahr 1849 blieb unbeachtet und die Eintragung unverändert.“

GRUNDBUCHANLEGUNG: „NICHT GENÜGEND“ 

Anfang der 1980er Jahre urteilte die Tiroler Landesregierung in einer Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof schonungslos: „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete. Da die tatsächliche Nutzung weiterhin gemäß der alten Übung erfolgte, war es für den Berechtigten in wirtschaftlicher Hinsicht gleichgültig, ob seine Bedürfnisse an Holzbezugs- und Weidemöglichkeiten durch die Mitgliedschaft zur Nachbarschaft, zu einer Interessentschaft oder durch eine Gemeindegutsnutzung gedeckt wurden. So gesehen zeigt sich, dass das Gemeindegut nur eine von mehreren historischen Ausformungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte darstellt. [Es dürfe nicht übersehen werden], dass die Gemeinde hinsichtlich des Gemeindegutes eben nicht als (politische) Gemeinde auftritt, sondern mangels einer eigenen rechtlichen Verfassung der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten eine Agrargemeinschaft ex lege bildet […]. In diesen Fällen ist die Gemeinde nicht als politische Gemeinde ‚Eigentümerin‘, sondern sie ist als ‚Erbin‘ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Rechtsnachfolger der alten genossenschaftlichen organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“

Die Vorstellung einer „Gemeinde als Erbin“ ist freilich nicht zutreffend. Eine solche Deutung geht nämlich von zwei verschiedenen juristischen Personen aus, von denen eine, nämlich die „Nachbarschaft“, verstorben sei. Bereits im Jahr 1878 hatte sich Dr. Josef Kopp, Mitglied der NÖ Landesregierung, mit diesem irrigen Bild auseinandergesetzt. Josef Kopp fand 1878 einprägsame Worte: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Charakter, ohne dass man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten. Die ‚Gemeinde‘ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass letztere gestorben wäre.“ Karl Peyrer, seinerzeit Ministerialrat im Ackerbauministerium, hatte im Jahr 1877 aus diesen Zuständen den Schluss gezogen, dass damals die bloße Bezeichnung einer Liegenschaft als „Gemeindegut“ genügte, um ein Genossenschaftsvermögen der politischen Gemeinde zuzuordnen.

Das Grundbuchsanlegungsverfahren war in Tirol durch Gesetz vom 17. März 1897 und durch eine „Vollzugsvorschrift“ geregelt. Es gab ein mehrstufiges, teils durch Edikte gegliedertes Verfahren, das zunächst bei den Grundsteuerunterlagen anknüpfte, woran Erhebungen anschlossen. Der auf dieser Grundlage erstellte Entwurf wurde in der Folge einem „Richtigstellungsverfahren“ unterworfen, aus dem schließlich das „Hauptbuch“ hervorging, gegen das abermals Reklamationen möglich waren. Die Teilnahme der Parteien sowie wiederholte Reklamationsmöglichkeiten sollten Fehler schnell ans Licht bringen. Die praktische Durchführung der Grundbuchsanlegung blieb hinter diesen Erwartungen zurück. Teilweise war eine der Ursachen ein heute kaum nachvollziehbares Desinteresse der Bevölkerung. Dies hat der Tiroler Grundbuchsanlegungskommissär Rudolf Plangg in einem 1927 in den Tiroler Heimatblättern erschienenen Artikel überliefert. Er erinnerte u. a. an einen Fall von Stockwerkseigentum im Oberland: „Mögt’s mocha was wöllt’s“, rief ein eben den Backofen ausbessernder Stockwerkseigentümer dem verdutzten Plangg zu. Für Auskünfte stand er nicht zur Verfügung.

MÖGT’S MOCHA WAS WÖLLT’S!

Die Vollzugsvorschrift verlangte die Erhebung des Eigentumsrechts und des Eigentumstitels. „Die hinsichtlich gewisser Liegenschaften (Alpen) bestehenden Eigentumsgemeinschaften sind zumeist als Miteigentum aufzufassen. Ein Miteigentum kann aber nur dann eingetragen werden, wenn sich die Quoten der einzelnen Eigentümer ermitteln lassen. Lassen sich die Quoten aber nicht bestimmen, ist das Eigentumsrecht für eine juristische Person einzutragen.“ So lautete die Vorgabe an die Grundbuchanlegungskommissare. Die Einverleibung des Eigentums einer juristischen Person begegnete jedoch einem fundamentalen Problem: Eine (noch) nicht regulierte Agrargemeinschaft war (noch) keine „juristische Person“. Die Rechtslehre setzte vielmehr damals voraus, dass die juristische Person durch einen staatlichen Akt anerkannt werden müsse. Mangels Regulierung konnte die Agrargemeinschaft nicht als juristische Person anerkannt und daher auch nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Die Einverleibung von Miteigentum schied schon dann aus, wenn Miteigentumsquoten nicht bestimmt werden konnten. Versetzt man sich also in die Lage eines Grundbuchsanlegungskommissärs, so erscheint die Verbücherung des Eigentums zugunsten einer „Gemeinde“ oder einer „Fraktion“ auf den ersten Blick als eine geradezu perfekte Lösung. Nach Miteigentümern musste dann nicht länger geforscht werden und den Betroffenen waren die Bezeichnungen „Gemeindewald“ bzw. „Gemeindealm“ geläufig.

Bei den Jerzener Almliegenschaften war bei der Grund­buchanlegung 1906 zunächst wie üblich auf den Inhalt des Grundsteuerkatasters zurückgegriffen worden: Das die Tanzalpe betreffende Grundbuchanlegungsprotokoll vom 10. April 1906 nannte als Eigentümer nach dem Grundsteuerkataster „Gastl Jakob mit 90 Mitbesitzern“, das die Riegentalalpe betreffende Protokoll vom selben Tag „Gastl Jakob mit 95 Mitbesitzern“. Eine sodann folgende „Erhebung der Eigentumsrechte“ führte zur Wahl folgender Eigentümerbezeichnung für die Tanzalpe: „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitze, der Ober- und Außerhöfe ausgenommen das äußere Gistelwies“. Als Eigentümerin der Riegentalalpe wurde angeschrieben eine „Fraktion Dorf Jerzens einschließlich Schönlarch, Pitzen, Ober- und Außerhöfe“. Was man sich unter diesen Gebilden vorzustellen hätte, erläutern die Grundbuchanlegungsprotokolle nicht. Einen wesentlichen Widerspruch zu den Angaben des Grundsteuerkatasters scheint man nicht erkannt zu haben. Schließlich hat Jakob Gastl, laut Steuerkataster einer der Miteigentümer, die beiden Anlegungsprotokolle als Vollmachtträger für die Eigentümer und als „Vertrauensmann“ unterfertigt. Etwa ein Jahr später, am 15. Mai 1907, hielt ein Protokoll des Grundbuchsanlegungskommissärs fest, dass keine Einwendungen gegen die kundgemachten Protokolle erhoben wurden.

TINTE VON DÜNKLEREM ROT-TON

Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt kam es zu einer „Weiterentwicklung“ der Eigentümerbezeichnung: In beiden Grundbuchanlegungsprotokollen wurde mit Tinte von dünklerem Rot-Ton vermerkt: „Zufolge der im Zuge der Grundbuchanlegung gepflogenen Nachtragserhebungen wird obige Parzelle hier abgeschrieben u[nd] der N. 144 zugeschrieben. Gelöscht“. Zugleich wurden mit gleicher Tinte die Eigentümerbezeichnung und die Unterschrift Jakob Gastls als Vollmachtträger durchgestrichen. Im Grundbuchanlegungsprotokoll „N. 144 Jerzens Gemeinde“ vom 6. April 1906 wurden „Tanzalpe [Parz.-Nr.] 1486“ und „Rygetal [Parz.-Nr.] 1488“ im Anschluss an die gewöhnliche Reihenfolge aufsteigender Parzellennummern ergänzt; dies ebenfalls mit dünkler-roter Tinte. Die dazu gehörigen Eigentumstitel wurden auf der folgenden Seite in einen vorher offenbar verbliebenen Abstand „hineingequetscht“. Im sogenannten Hauptbuch des Grundbuchs wurden demzufolge die Eigentümerinnen beider Liegenschaften bezeichnet mit „Gemeinde Jerzens“.

Warum die Eigentümerbezeichnung auf „Gemeinde“ geändert wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Um Gemeindevermögen zu identifizieren, war „in jeder Gemeinde insbesondere auch das Gemeindeinventar einzusehen“, so lautete § 34 Abs. 2 der Vollzugsvorschrift. Die erhaltenen Gemeindeinventare von Jerzens für 1909 und 1910 enthalten jedenfalls keinen Hinweis auf ein Eigentum an den beiden Almliegenschaften. Ein mögliches, wenngleich vom Gesetz nicht anerkanntes Motiv für die beschriebenen Vorgänge könnte gewesen sein, einen Mehraufwand zu ersparen, indem keine Miteigentümer angeschrieben werden. Die Grundbuchanlegung im Gerichtsbezirk Imst stand ohnehin unter keinem guten Stern: Ein Visitationsbericht des Oberlandesgerichts konstatierte im Oktober 1907 massive Rückstände und kritisierte, dass durch mehrere Monate keine neuen Grundbücher eröffnet worden waren. Eine etwas „großzügigere“ Handhabung der Grundbuchanlegungsvorschriften entspräche vor diesem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung.

Im Jahr 1965 hat die Agrarbehörde entschieden, dass niemand anderer als eine Agrargemeinschaft, die sich aus den auftriebsberechtigten Hofbesitzern zusammensetzt, die Eigentümerin dieser Almliegenschaften sei. Unlängst gelangte dieselbe Behörde zu der Erkenntnis, dass die Entscheidung des Jahres 1965 verfassungswidrig war, weshalb heute „atypisches Gemeindegut“ vorliegt.