Im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 hat der Verfassungsgerichtshof klar gestellt, dass der Begriff „Gemeinde“ auch eine Summe von Nutzungsberechtigten bezeichnen könne.

Eine solche „Gemeinde“, die sich aus Nutzungsberechtigten zusammen setzt, wird zweckmäßig als „Agrargemeinde“ bezeichnet.

Die Tatsache, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung diese Gemeinden, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten, die „Agrargemeinden“, nicht von den politischen Ortsgemeinden moderner Prägung unterschieden wurden, ist eine der wesentlichen Ursachen für den heutigen Agrarstreit in Tirol.

Hunderte Entscheidungen der Tiroler Agrarbehörden, mit denen über die Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften entscheiden wurde, werden missverstanden als Enteignungen der Ortsgemeinden, obwohl in Wahrheit seit jeher eine Agrargemeinde, oft identen Namens wie die heutige Ortsgemeinde, wahre Eigentümerin war.

Manchmal erkennt man die wahre Identität der „Gemeinde“ allerdings schon an der Wort-Kombination, die in Verbindung mit dem Begriff „Gemeinde“ bei der Grundbuchanlegung als Eigentümerin erfasst wurde. Die besten Beispiele sind die „Gemeinden“ mit Ausschluss oder ohne eine bestimmt bezeichnete Nachbarschaft. Beispiel: Eine „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ kann nach den Gesetzten der Logik nur selbst eine Nachbarschaft sein.

A) Verschiedene Gemeindebegriffe

Der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1982: „Das Gemeindegut wird in beiden zu prüfenden Bestimmungen neben den Grundstücken genannt, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (statt den Servitutsberechtigten als Einzeleigentümer) einer Gemeinde (Ortschaft) oder einer Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Nutzung und gemeinsamen Besitz abgetreten worden sind. Entgegen der Auffassung der Sbg. Landesregierung ist daher die von ihr beschriebene … Erscheinung, dass „die Gemeinde“ nur die Bezeichnung für die Summe der nutzungsberechtigten Eigentümer ist, nicht von den in Prüfung stehenden, sondern von anderen Bestimmungen des Flurverfassungsrechts erfasst, so dass sich aus der Eigenart jener Erscheinung nichts für den Inhalt dieser Gesetzesbestimmungen ergibt.“ (Verfassungsgerichtshof VfSlg 9336/1982, Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung)

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 01.03.1982 VfSlg 9336/1982 ausdrücklich hervorgehoben, dass keinesfalls alles, was sich „Gemeinde“ nannte oder „Gemeinde“ genannt wurde, auch einer heutigen politischen Ortsgemeinde entsprechen muss. Neben der Bezeichnung für die politischen Ortsgemeinde und deren Eigentum, dem Gemeindegut, würde der Begriff „Gemeinde“ auch zur Bezeichnung einer Gesellschaft (Realgenossenschaft), zusammengesetzt aus den Nutzungsberechtigten, verwendet. Dies dürfe keinesfalls übersehen werden!
Der Verfassungsgerichtshof weiter: Gerade im Zusammenhang mit dem Phänomen der Servitutenablösung hätte der Gesetzgeber den Begriff der „Gemeinde als Gesellschaft der Nutzungsberechtigten“ vorausgesetzt und im Flurverfassungsrecht berücksichtigt. Beide Phänomene, das Gemeindegut einerseits und das aus Servitutenablösung entstandene Gemeinschaftseigentum der Nutzungsberechtigten, seien streng zu unterscheiden (VfSlg 9336/1982 Pkt III Z 1 Abs 2 der Begründung).
Das VfGH-ERkenntnis VfSlg 9336/1982 wird zur Recht als „Fundament des Mieders-Erkenntnisses vom 30.06.2008 VfSlf 18.446/2008 bezeichnet. Deshalb sind diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes von besonderer Bedeutung gerade für den heutigen Agrarstreit in Tirol.

Anlass für diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) war folgendes: Die Salzburger Landesregierung hatte im Gesetzesprüfungsverfahren Slg 9336/1982 gegen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs im Beschluss auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vorgebracht, dass das „Gemeindegut“ in Salzburg aus Servitutenregulierungsmaßnahmen entstanden sei, weshalb das „Gemeindegut“ historisch als Gegenleistung zu verstehen sei, die von einem Grundherren für den Verzicht auf Wald- und Weideservituten den jeweils Berechtigten in das Eigentum übertragen wurde. Das „Gemeindegut“ sei die Gegenleistung für die Aufgabe von Beholzungs-Servituten im Staatsforst gewesen. Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte des „Gemeindeguts“ sei die Regulierung dieses Eigentums in Agrargemeinschaften, welche sich ausschließlich aus berechtigten Stammliegenschaftsbesitzern zusammensetzen, nicht verfassungswidrig, sondern die richtige Behandlung für das agrarische Gemeinschaftseigentum. Der VfGH gibt die Äußerung der Salzbuger Landesregierung im Erk Slg 9336/1982 wie folgt wieder:
„Die Salzburger Landesregierung verweist darauf, dass in Sbg. im Zuge der Servitutenablösung Waldgrundstücke nicht an einzelne Gemeindeinsassen, sondern (formell) nur an ganze Gemeinden abgetreten wurden. Es handle sich aber nicht um Gemeindewälder, sondern um Gemeinschaftswälder, sodass später das Eigentum den aus den Nutzungsberechtigten gebildeten Agrargemeinschaften zugesprochen worden sei. Das sei nicht gleichheitswidrig, weil die Grundflächen als Ablösung für alte Nutzungsrechte aus dem Staatswald an die Gemeinden abgetreten worden sei [en].“
Zur Widerlegung dieser diese Einwände der Salzburger Landesregierung hat der VfGH im Erkenntnis 9337/1982 klargestellt, dass aus Servitutenregulierungsmaßnahmen gerade kein Gemeindegut im Sinn von „wahrem Eigentum der politischen Ortsgemeinde“ entstehen könne. Aus Servitutenregulierung würde vielmehr Eigentum von „Gemeinden“, zusammengesetzt aus „Nutzungsberechtigten“, „Gemeinden“ als Gesellschaften der Nutzungsberechtigten entstehen.

Der VfGH hat somit klar gestellt, dass die verschiedenen Gemeindebegriffe nicht verwechselt werden dürfen. Der VfGH hat somit schon im Jahr 1982 darauf hingewiesen, dass aus Servitutenablösungsmaßnahmen niemals Eigentum einer politischen Ortsgemeinde und somit keine Gemeindegut entstehen könne. Der VfGH gab somit die Richtlinie vor, dass bei den Ergebnissen der Grundbuchanlegung genau unterschieden werden müsse, ob der jeweilige Rechtstitel eine Servitutenablösungsmaßnahme sei. Aus Servitutenablösung seinen „Gemeinden“ hervorgegangen, welche gerade keine politischen Ortsgemeinden seien, sondern „Gemeinden, zusammengesetzt aus Nutzungsberechtigten, eben Agrargemeinden. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man die historischen Grundbuchseintragungen in den Tiroler Grundbüchern, die zu einem beträchtlichen Teil um die Wende vom 19. Zum 20, Jahrhundert entstanden sind, aus heutiger Sicht auf ihre Schlüssigkeit überprüft.

B) Römisch-rechtliches Eigentumsverständnis

Was war die Ursache, dass die historischen Agrargemeinden, heute als Agrargemeinschaften definiert, im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung häufig mit der modernen politischen Ortsgemeinde verwechselt wurden?

„Bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchsanlegungskommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 2010, 24) „Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete.“ (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung)

1. Allgemeines

Anfang der 1980er Jahre vertrat die Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 den Standpunkt, dass im Zuge der Tiroler Grundbuchanlegung bei der Beurteilung der Gemeinschaftsliegenschaften Willkür geübt worden wäre. Es sei ausschließlich vom zuständigen Beamten abhängig gewesen, welchen „Ausdruck“ dieser zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse an den Gemeinschaftsliegenschaften wählte. Die Palette hätte von der Einverleibung der Berechtigten als Miteigentümer, bis zur Einverleibung der „Gemeinde“ als Eigentümerin gereicht. „Gemeindegut“ sei deshalb nur eine von mehreren „Ausprägungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte“. „Gemeindegut“ sei das Ergebnis historischer Zufälligkeit einer rein tatsächlichen Vorgehensweise. Aus diesem Grund sei gerade keine Differenzierung in der rechtlichen Behandlung von „Gemeindegut“ und anderen agrargemeinschaftlichen Liegenschaften geboten. Vielmehr gelte der Grundsatz, dass gleich gelagerte Verhältnisse auch rechtlich gleich zu behandeln seien. (Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G 35/81, G 36/81 und G 83/81, G 84/81, zitiert nach VfGH Slg 9336/2982 Pkt I Z 4 der Begründung) In der Folge versuchte sich die Tiroler Landesregierung an einer konfusen Theorie vom Gemeindegut, die „eine Rechtsträgerschaft der politischen Ortsgemeinde ins Spiel bringt: Die Ortsgemeinde besitze das Gemeindegut nicht als Eigentümerin, sondern als `Erbin der alten Realgemeinde´. Die politische Ortsgemeinde sei in dieser Eigenschaft nicht als Gebietskörperschaft zu erfassen, sondern als Teil einer „ex lege bestehenden Agrargemeinschaft, welcher das Gemeindegut zuzuordnen sei“.

Kritik: Weil ein „Beerben der alten Realgemeinden“ an der fehlenden Rechtsgrundlage scheitert, wäre die Tiroler Landesregierung gut beraten gewesen, sich auf einfache Schlussfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt zu beschränken: Die Gemeinschaftsliegenschaften wurden im Zuge der Tiroler Grundbuchsanlegung schlicht und einfach in vielen Fällen falsch beurteilt. Deshalb wurden im Grundbuch die Eigentumsverhältnisse an solchen Liegenschaften vielfach objektiv unrichtig dargestellt! Eine andere Schlussfolgerung kann aus dem behaupteten Sachverhalt, wonach einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen wurde und dass es allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten lag, welcher Ausdruck zur Darstellung der Eigentumsverhältnisse verwendet wurden, nicht gezogen werden. Als „Gemeindegut“ hatte die Tiroler Landesregierung damals offensichtlich jene Liegenschaften verstanden, welche grundbücherlich gerade zu Unrecht einer Gemeinde zugeschrieben waren. Allein aus diesem Grund wurde als Ergebnis des agrarbehördlichen Prüfungsverfahrens das Eigentumsrecht der (nicht regulierten) Agrargemeinschaft festgestellt. Dieses agrargemeinschaftliche Gut wurde im Zuge der körperschaftlichen Einrichtung der Agrargemeinschaft „umgegründet“ – sprich: als Eigentum dieser Agrargemeinschaft festgestellt.

Ausgehend von der Tatsache, dass die Tiroler Grundbücher „hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen“ enthalten hatten, hätte die Tiroler Landesregierung einen wesentlichen Teil der praktischen Aufgabe der Agrarbehörden in einem derartigen Umfeld erklären können: Insoweit die „Gemeinde“ zu Unrecht als Eigentümerin im Grundbuch einverleibt war, musste die Entscheidung der Agrarbehörde über das Eigentum notwendig gegen die politische Ortsgemeinde ausfallen. Im Übrigen hatten die Agrarbehörden sorgfältig differenziert: Typischer Weise wurden in einem eigenen Verfahrensabschnitt bestimmte Grundstücke aus dem Verfahren ausgeschieden und als unbelastetes Eigentum der politischen Ortsgemeinde festgestellt. Diese Trennung des Eigentums der Agrargemeinschaft vom übrigen Vermögen der politischen Ortsgemeinde war genau deshalb erforderlich, weil vielfach weder die Gemeindebürger selbst, noch die Grundbuchanlegungsbeamten in Tirol das gemeinschaftliche Privatvermögen der „alten Agrargemeinden“ und das Eigentum der heutigen politischen Ortsgemeinde unterschieden hatten.

2. Generelle Unsicherheit bei der Beurteilung von Gemeinschaftsliegenschaften?

Offensichtlich wurden nicht nur in Tirol die Gemeinschaftsliegenschaften in den öffentlichen Büchern unrichtig angeschrieben. Die historischen Quellen zwingen zu der Schlussfolgerung, dass es sich um ein Phänomen von genereller Bedeutung handelte. Die Dogmatik der Pandektistik, welche beschränkte dingliche Rechte an eigener Sache strikt ablehnte, stand einer unbefangenen Erfassung der historischen Sachverhalte entgegen. Der Begriff des „gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt“, war mit dem Rechtsverständnis des ausgehenden 19. Jhdts offensichtlich nicht vereinbar. Eine durch die Grundbuchanlegung im Osten Österreichs von mehr als 100 Jahren veranlasste literarische Diskussion zur Art und Weise der Verbücherung der Gemeinschaftsliegenschaften belegt die Komplexität der Rechtslage und die Unsicherheit aller Beteiligten. Bereits im Jahre 1885 beklagte Hoegel im Zusammenhang mit der Verbücherung der „gemeinschaftlichen Weiden und Waldungen“ eine „Unklarheit, aus welcher in aller Stille eine juristische Monstrosität“ heranwachse.“ Pfersche hat in einer Abhandlung aus dem Jahr 1894 die Verhältnisse treffend zusammengefasst, wenn er formulierte: „Die grundbücherliche Behandlung der Gemeinschaftsgüter ist sehr verschiedenartig, … Die gerichtlichen Entscheidungen bei Grundbuchsgesuchen und bei Prozessen sind fortwährend schwankend, und da die Motivierung, namentlich auch der oberstgerichtlichen Urteile, keine feste und klare Rechtsansicht verraten, so erscheint der Ausgang jeder derartigen Rechtsache als ein unberechenbarer Zufall.“

Es wäre deshalb verfehlt, im konkreten Einzelfall beim Wortlaut der historischen Eigentümerbezeichnungen anzusetzen, um die wahren Eigentumsverhältnisse an einer bestimmten Liegenschaft zu ergründen. Man würde auf unverlässlicher Grundlage aufbauen und bei Umständen anknüpfen, welche von der Willkür und dem subjektivem Gutdünken juristisch überforderter Grundbuchbeamter (und der übrigen Beteiligten) abhängig waren. Man würde sich in Widerspruch mit den über Jahrzehnte gewonnenen Erfahrungen der Tiroler Agrarbehörde setzen, welche die Ergebnisse der Tiroler Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften als rein willkürlich verstanden hatte. Man würde sich in Widerspruch mit der „amtlichen Rechtsauffassung“ der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1982 setzen, wonach die Grundbuchanlegung hinsichtlich der Gemeinschaftsliegenschaften im Ergebnis willkürlich Miteigentum oder realrechtlich gebundenes Miteigentum, Interessentschaften oder Nachbarschaften, Ortschaften, Fraktionen oder Gemeinden einverleibt habe. Nachdem eine bereite literarische Diskussion der Grundbuchanlegung zu genau diesem Themenkomplex eine österreichweit einheitliche Problematik nachweist, würde eine solche Vorgehensweise jedwede juristische Sorgfalt vermissen lassen. Richtiger Weise sind deshalb in jedem Einzelfall die historischen Eigentumsverhältnisse anhand aller zur Verfügung stehenden Umstände abzuklären. Die Darstellung der Rechtsverhältnisse durch die Grundbuchsanlegung hat dabei lediglich den Charakter einer Rechtsvermutung, zumal das Vertrauensprinzip nur dem Dritten gegenüber gilt, nicht aber auch zwischen den Parteien; nichts anderes gilt hinsichtlich des Grundsatzes der formellen Rechtskraft der Verbücherung, die trotz Ablaufs der Ediktalfristen zwischen den Parteien nicht zur Auswirkung kommen kann. Der „nicht titulierte Tabularbesitzer“ hat dem wahren Berechtigten jederzeit zu weichen!

C) Fehlendes Organisationsrecht

„Bei der speziell in Tirol gegebenen rechtlichen Situation, die durch das völlige Fehlen von gesetzlichen Normen zur Ordnung des deutschrechtlichen Allmendbesitzes gekennzeichnet war, ist es nicht verwunderlich, dass man gestützt auf die gemeinderechtlichen Bestimmungen … fortschreitend daran ging, die Realgemeinden durch die politischen Gemeinden zu verdrängen. Die Einverleibung des selbstständigen agrargemeinschaftlichen Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde.“ Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010), 22.

1. Die politischen Ortsgemeinde als „Quasi-Erbin“ der Agrargemeinde?

Während ein Bericht des NÖ Landesausschuss aus dem Jahr 1878 das Rechtsverhältnis zwischen der modernen politischen Ortsgemeinde und „ihrer Mutter, der Nachbarschaft“ noch bildlich als dasjenige einer „Beerbung“ beschreibt und dazu durch die faktischen Verhältnisse in den niederösterreichischen Gemeinden motiviert wurde, war es gerade in Tirol verbreitete Rechtsauffassung, in der heutigen politischen Ortsgemeinde tatsächlich die „Erbin der historischen Realgemeinde“ zu sehen. Dies machen nicht nur die Ausführungen Albert Mairs deutlich, der 1958 ausdrücklich gegen den „bedenklichen Titel einer Universalsukzession“ auftritt. Auch die Stellungnahme der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 9336/1982 basiert wesentlich auf der Fiktion, dass die heutige politische Ortsgemeinde die historischen Agrargemeinde „quasi beerbt“ hätten: Im Fall ehemaliger Allmendliegenschaften sei „die Gemeinde nicht als politische Gemeinde `Eigentümerin´“, sondern sie sei „als `Erbin´ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Rechtsnachfolgerin der alten genossenschaftlich organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“

Entscheidungen der Tiroler Agrarbehörden aus dieser Zeit verdeutlichen, was man sich seitens der Tiroler Landesregierung bei dieser Stellungnahme gedacht haben könnte. So beispielsweise ein Bescheid aus dem Jahr 1978, der im Rahmen des Regulierungsverfahrens des „Gemeindegutes“ von Höfen ergangen ist: „Ein Regulierungsverfahren hatte den Sinn, die seit alters her üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen der einzelnen berechtigten Stammliegenschaften festzustellen und zu fixieren. Da die Grundstücke, auf denen die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen ausgeübt wurden, bisher von der (politischen) Gemeinde als Verwalterin der früher sog `Allmende´ verwaltet wurden, ist es besonders notwendig, zwischen den Grundstücken, auf denen solche Nutzungen ausgeübt werden konnten (= Gemeindegut) und solchen Grundstücken, die der Gemeinde gehören, aber auf denen keine Nutzungen stattgefunden haben, zu trennen. Diesem Zweck dient der vorliegende Bescheid.“ Im Berufungserkenntnis zu diesem Bescheid wird die Theorie von der gesetzliche Verwaltungskompetenz der politischen Ortsgemeinde hinsichtlich des Vermögens der nicht regulierten Agrargemeinschaft weiter bekräftigt: Es hätte in der Vergangenheit wie heute die Rechtslage bestanden, dass die „Kraft-Gesetzes-Agrargemeinschaften“ ohne Satzungsverleihung … nur durch die Gemeinde verwaltet würden, d.h. dass diese nur durch den Gemeinderat handlungsfähig wären. „Der (politischen Orts-)Gemeinde war und ist auch heute noch bei unregulierten Agrargemeinschaften die Verwaltung dieser Körperschaften übertragen.“ Diesen Entscheidungen lag die faktische Situation zu Grunde, dass im Grundbuch sowohl das Eigentum der nicht regulierten Agrargemeinschaft als auch das Eigentum der politischen Ortsgemeinde einheitlich auf den Begriff „Gemeinde Höfen“ einverleibt war.

Mit der These, wonach der politischen Ortsgemeinde die Verwaltung der unregulierten Agrargemeinschaften (von Gesetzes wegen) übertragen sei, ließe sich der Gedanke, wonach die auf „Gemeinde“ lautenden Grundbuchseintragungen gar nicht auf die politische Ortsgemeinde verweisen bzw dass die „politische Gemeinde“ schlicht zu Unrecht als Eigentümerin angeschrieben wurde, wohl kaum vereinen. Worauf sollte sich die (angebliche) gesetzliche Verwaltungskompetenz den stützen, wenn nicht auf die Legitimation durch den Bucheintrag? Warum gerade bei den historischen Gemeinschaftsliegenschaften „der alten Nachbarn“ die „Gemeinde“ als Eigentümerin in den öffentlichen Büchern einverleibt wurde, bringt der bereits erwähnte Bericht des Niederösterreichischen Landesausschuss aus dem Jahr 1878 wie folgt auf den Punkt: „Die ‚Gemeinde’ erschien in allen Urkunden als Eigentümerin und so beerbte die moderne Gemeinde ihre Mutter, die Nachbarschaft, ohne dass Letztere gestorben wäre.“

2. Verwechslung der „Gemeinde-Begriffe“

„Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“ Leopold Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, JBl 1884, 186

„Die Unklarheit, ob Gemeindeeigentum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigentums oder Gesellschaftsverhältnis zu Grunde liegend, welche rechtliche Stellung den Verwaltern dieses Vermögens zukomme usw. ist kaum zu lichten, die anzuwenden Rechtssätze bilden daher ein Hauptobjekt des Streits, und nur allzu oft sprechen in der Brust des Juristen, der den Fall unbefangen prüft, zwei Seelen – für und gegen den Kläger! Für wahr ein arger Mangel der bestehenden Gesetzgebung!“ Leopold Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, JBl 1884, 186

Weil die Gemeinschaftsliegenschaften vielfach die Fortsetzung der wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite ganzer historischer Markgemeinden oder von ursprünglich selbständigen Teilen derselben bildeten, führten diese häufig die Bezeichnung der jeweiligen Ortsgemeinde oder eines Ortsteiles derselben als Namen. Der Verwirrung in den Rechtsverhältnissen wurde somit auch von dieser Seite Vorschub geleistet.

So berichtet Michael Hermann, seinerzeit Mitglied des Steiermärkischen Landesausschusses, in einer Abhandlung aus dem Jahr 1879 nicht nur allgemein von diversen an den Steiermärkischen Landesausschuss herangetragenen Streitigkeiten wegen „Klassen-“ bzw „Gemeindevermögens“. Hermann berichtet für das ehemalige Herzogtum Steiermark auch über eine wesentliche Ursache des Streits, nämlich die mangelnde Unterscheidung der Praxis zwischen öffentlich-rechtlich gebundenem Eigentum der neuen politischen Ortsgemeinde und dem privaten Gemeinschaftseigentum der „alten Markgenossen“. Die „alten Markgenossen“ hatten bekanntlich gemeinsam den historischen privaten Gemeindeverband gebildet; in den Urkunden und Katastern firmierte ihr Gemeinschaftseigentum deshalb unter der Bezeichnung „Gemeinde“.
„Selbst unter dem Bestande der neuen Gemeindegesetze geschah es, dass die Gemeindevertretungen aus Genossen zusammengesetzt, Genossenschaftsgründe als Gemeindeeigentum eintragen oder Genossenschaftsgründe für Schulden der Gemeinde verpfänden ließ.“ Die historischen Verhältnisse in der heutigen Steiermark unterschieden sich in dieser Hinsicht offensichtlich nicht wesentlich von denjenigen in Niederösterreich, wie uns diese im Bericht des Landesausschuss aus dem Jahr 1878 geschildert werden oder von denjenigen in Tirol, wie diese Albert Mair aus seiner Erfahrung als langjähriger Agrarbehördenleiter in Tirol im Jahr 1958 schildert. Auch der Bericht von Alois Paris aus dem Jahr 1875 bestätigt die synonyme Verwendung der Begriffes „Gemeinde“, „Nachbarschaft“ und „Gemeinschaft“ durch die Grundbuchsanlegung und in anderen öffentlichen Büchern.

Karl Peyrer, seinerzeit k.k. Ministerialrat im Ackerbauministerium, beschrieb den Vorgang 1877 als einen Erosionsprozess, dem das Gemeinschaftseigentum ausgesetzt sei: „So vollzieht sich in allen österreichischen Ländern, von der Wissenschaft und im Leben kaum beachtet, einer der merkwürdigsten sozialen Prozesse, durch welchen fast das gesamte Grundeigentum eine Umgestaltung erleidet. Von zwei Seiten angegriffen, verschwindet nach und nach das alte, früher allein herrschende, noch vor einem Jahrhundert weitaus überwiegende Gemeingut, das Gesamteigentum, um auf der einen Seite durch vollständige Aufteilung unter die einzelnen Gemeindeglieder dem Privateigentum, auf der anderen Seite dem Gemeindevermögen Platz zu machen.“
Einen wesentlichen Grund für diesen Erosionsprozess erblickte Peyrer in einer „kaum glaublichen Sorglosigkeit und einer völligen Unklarheit und Verwirrung in den Bezeichnungen wie in den Begriffen, wenn es sich darum handelt, die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“

Sorglosigkeit und mangelndes dogmatisches Differenzierungsvermögen waren angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen allerdings leicht nachzuvollziehen, wie Albert Mair 1958 betonte: „Der Verschmelzungsprozess ging teilweise umso leichter vonstatten, als sich gerade in den extremen Bergbauerngebieten Ende des vorigen Jahrhunderts ein Unterschied zwischen der Realgemeinde und der politischen Gemeinde überhaupt nicht bemerkbar machte und sich der Kreis der Gemeindebewohner mit dem Kreis der Nutzungsberechtigten im Wesentlichen deckte. Den Bauern war daher ein Unterschied zwischen politischer und Wirtschaftsgemeinde unbekannt.“

Doch nicht nur dies – die Unkenntnis reichte auch in Juristenkreise, wie Pfaff konstatierte: „Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“
Pfaff nahm hier Bezug auf einen Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses an den Landtag, worin 1878 das Ergebnis mehrjähriger Ermittlungen festgehalten wurde: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg darauf anwendbar war.“ „Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren. Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. Man versuchte zuweilen diesen factischen Genuß aus dem Begriffe der Dienstbarkeit zu erklären, das ist aber nicht nur historisch grundfalsch, sondern auch den thatsächlichen Zuständen nicht entsprechend. Da man nun kein Schubfach fand, in welches man diese Rechtsverhältnisse stecken konnte, so ließ man sie einfach als weiter nicht definierbare Nutzungsrechte gelten. Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“

Carl Peyrer, der Altmeister des österreichischen Agrarrechts, stellte 1877 in seiner Abhandlung zur „Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse“ fest, dass in Zeiten, in denen die politische Gemeinde vom Staat und seinen Organen begünstigt würde, oft schon der bloße Name genüge, um das Vermögen der Nutzungsgenossenschaft ganz der politischen Gemeinde zuzuweisen. In diesem Zusammenhang zitierte er Francis Bacon: Der Mensch glaube, mit seinem Verstande den Worten zu gebieten, obwohl öfters die Worte seinen Verstand unterwerfen. Damit ist das Problem zeitlos auf den Punkt gebracht: Wenn und solange der Erkenntnis emotionale Barrieren entgegenstehen, wird die von Leopold Pfaff beklagte „Unklarheit, ob Gemeindeeigenthum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigenthums oder Gesellschaftsverhältnis“, die Rechtswissenschaft noch länger begleiten und eine Lösung des Problems erschweren!

Wissenschaft und Praxis haben deshalb zur Kenntnis zu nehmen, dass die historischen Privatgesellschaften der Nachbarn Jahrhunderte lang auch im Privatrechtsverkehr unter der Bezeichnung „Nachbarschaft und Gemeinde“ in Verbindung mit der jeweiligen Ortsbezeichnung aufgetreten sind. Die jeweilige Ortsbezeichnung in Verbindung mit dem Gemeindebegriff war somit auch als Bezeichnung für Privatrechtsträger gebräuchlich. Die Organisierung der modernen Ortsgemeinden im 19. Jhdt baute auf die gebräuchlichen Ortsbezeichnungen in Verbindung mit dem Gemeindebegriff. Hinzu kommt seit jeher die Verwendung solcher Bezeichnungen bei der Organisierung der historischen Konskriptionsgemeinden, der Steuergemeinden, der Gerichtsgemeinden, der Katastral- und Schulgemeinden, um nur die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Organisationsstrukturen auf lokaler Ebene zu nennen. Parallel verlief die Organisation der Kirchengemeinden, welche sich derselben Begriffe zur Bezeichnung der jeweiligen lokalen Organisationen bediente. Aus der Verwendung des Begriffes „Gemeinde“ in Verbindung mit einer Ortsbezeichnung alleine kann deshalb keinesfalls zuverlässig auf einen bestimmten Rechtsträger geschlossen werden.

Völlig zu Recht wurde deshalb in einem Bericht des Ministerium des Innern aus dem Jahr 1917 der Standpunkt vertreten, dass nur auf Grund spezieller Untersuchung jedes einzelnen Falles ein Urteil über das Verhältnis zweier Gemeinden gefällt werden könne. Dieser Grundsatz ist auch heute zu beachten, wenn geklärt werden soll, welcher Rechtsträger sich tatsächlich hinter einer auf „Gemeinde“ lautenden Eigentümeranschreibung aus der Zeit der Grundbuchsanlegung verbirgt.

3. Fehlende Rechtsgrundlagen

„Die Agrargenossenschaften sind selbständige Körperschaften mit eigener Verfassung, eigener Mitgliedschaft und eigenen Organen. Vielfach ist allerdings der Zusammenhang mit der politischen Gemeinde nicht völlig gelöst. (Darum lässt die Praxis in Prozessen über Gesamtrechte oder Gesamtpflichten einer Klasse die Vertretung der Klasse durch die Gemeinde zu [mwN].) Allein juristisch kann in der fortdauernden Verbindung nur noch ein zufälliges Zusammentreffen von Gemeindeverfassung und Genossenschaftsverfassung erblickt werden.“ Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd I, Allgemeiner Teil und Personenrecht (1895), 616

In den „Österreichischen Erblanden“ wurden von den verschiedenen rechtlichen Organisationsvarianten für die Gemeinde nbR in der Zeit ab Errichtung der heutigen politischen Ortsgemeinde offensichtlich jene bevorzugt, welche eine enge Anlehnung an die politische Ortsgemeinde vorsah. Organisatorische Gemeinsamkeiten der neuen politischen Ortsgemeinde und der Agrargemeinde wurden vielfach aufrechterhalten. Die Identifizierung des privaten Klassenvermögens der alten Gemeindeglieder als eigenständige „moralische Person“, als Sachsubstrat und Personenvereinigung mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit, macht verständlicher Weise dann besondere Schwierigkeiten, wenn der Zusammenhang mit der neuen politischen Ortsgemeinde nicht völlig gelöst wurde. Für die Rechtsentwicklung in den sog. Österreichischen Erblanden ist ein solcher Sachverhalt deshalb geradezu typisch, weil die Einrichtung der modernen politischen Ortsgemeinde gerade nicht einher ging, mit der Schaffung eines modernen Organisationsrechts für die nach Abspaltung und Verselbständigung der politischen Aufgaben der Markgemeinde, zurückbleibenden „wirtschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde“.

Die Tatsache, dass schon das ABGB 1811 darauf verzichtet hatte, die „Gemeinde“ als moralische Person nach bürgerlichem Recht auch nur in rudimentärster Form auf gesamtstaatlicher Ebene zu regeln, zB Eigentümerorgan sowie Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan einzurichten und statt dessen auf das lokale Recht, „die politischen Gesetze“ oder das jeweilige Statut verwiesen hat, führte in der Praxis geradezu zwangsläufig zur Geschäftsführungs- und Vertretungstätigkeit der neuen politischen Ortsgemeinde; dies obwohl die für private Zwecke der beteiligten Wirtschaftseinheiten, der Stammsitze, reservierten Gemeinschaftsliegenschaften als „Klassenvermögen“ generell aus der Gemeindeverwaltung auszuscheiden gewesen wären.

Dabei handelte es sich jedoch um kein lokales Phänomen, sondern um eine im historischen Dt. Privatrecht allgemein bekannte Erscheinung, wonach die neue politische Ortsgemeinde – abhängig von den lokalen Rechtsverhältnissen – Vertretungs- und Geschäftsführungshandlungen für die „Agrargenossenschaft“, die Realgemeinde, ausgeführt hat. So stellte bereits Otto Gierke klar, dass die Agrargenossenschaften selbständige Körperschaften mit eigener Verfassung, eigener Mitgliedschaft und eigenen Organen seien, dass vielfach der Zusammenhang mit der politischen Gemeinde jedoch nicht völlig gelöst wurde, weshalb zB die Praxis in Prozessen über Gesamtrechte oder Gesamtpflichten einer Klasse die Vertretung der Klasse durch die Gemeinde zulasse. Allein juristisch könne in der fortdauernden Verbindung nur ein zufälliges Zusammentreffen von Gemeindeverfassung und Genossenschaftsverfassung erblickt werden.

Übertragen auf die Rechtssituation im Geltungsbereich des ABGB bedeutete dies, dass die alte Gemeinde als Private kraft Fortbestand ihres Vermögens als Rechtskörper weiterexistierte, dass jedoch vielfach die eigenständigen Organe derselben sich nicht (mehr) konstituierten, weil die Verwaltungs- und Vertretungshandlungen im Rahmen der Organe der politischen Ortsgemeinde gesetzt wurden. Ein Teil der Lehre hat aus diesem Phänomen die Theorie vom „Gemeindesondergut“ entwickelt, welches der Teilung und Regulierung gem den Landes-Flurverfassungsgesetzen zugänglich wäre. Im Ergebnis akzeptiert diese Theorie die Verwaltungs- und Vertretungstätigkeit der politischen Ortsgemeinde als Faktum, ohne sich mit der Existenz der historischen Eigentumsträger weiter zu beschäftigen.

4. Hilfskonstruktionen der Praxis

„So kam es dann, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dergleichen. In nicht wenigen Fällen geschah es auch, dass, wenn innerhalb eines Gemeindegebietes mehrere selbstständige agrarische Gemeinschaften in Form der Nachbarschaft vorlagen, diese als Fraktionen irrtümlicherweise grundbücherlich einverleibt wurden, obwohl diese niemals Fraktionen im Sinn der Gemeindeordnung und des Fraktionsgesetzes waren.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol 2010, 24)

Im Einzelnen sind die Erscheinungsformen, wie die „Klassenvermögen“ in den historischen Gemeinden verwaltet wurden, bunt und vielfältig; in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Grundlage wurde teilweise auf das Vereinspatent vom 26.11.1852 als Grundlage für die eigenständige Konstituierung zurückgegriffen. Die Regel war dies gerade in Tirol ganz und gar nicht. Auch wenn in den historischen Gemeinden das Klassenvermögen vielfach streng vom Vermögen der politischem Ortsgemeinde unterschieden wurde, sei es als „Fraktionsvermögen“, sei es als eigenständiger „Rechnungskreis“, als „eigene Kasse“ innerhalb der Gemeindeverwaltung, so hat die jeweilige Organisationseinheit doch zumindest im Fall formeller Vertretungsakte auf die Organe der politischen Ortsgemeinde zurückgegriffen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen spricht vieles für die Richtigkeit des seinerzeitigen Befundes von Albert Mair aus dem Jahr 1958, wonach die Grundbuchsanlegung das wahre Eigentum der politischen Ortsgemeinden mit demjenigen der historischen Agrargemeinden vermengt und Agrargemeinden mit politischen Ortsfraktionen verwechselt habe.

Tiroler Allerlei im Tiroler Grundbuch

Blickt man nun in die Tiroler Grundbücher, so findet man nicht nur eine große Vielfalt höchst bemerkenswerter Eigentümerpersönlichkeiten, sondern auch nicht wenige Fälle, in denen die Grundbuchsanlegungskommissäre nicht nach den ihnen erteilten – und tatsächlich wohl auch unzureichenden – Direktiven vorgegangen waren. Für die Vielfalt kann etwa die KG Prägraten im historischen Gerichtsbezirk Windisch-Matrei als Beispiel dienen. Hier wurden bei der Grundbuchsanlegung folgende Eigentümerpersönlichkeiten festgestellt: „Fraktion St. Andrä“ , „Fraktion Bobojach“ , „Fraktion Hinterbühel“ , „Fraktion Wallhorn“ , „Fraktion Obermauern der Gemeinde Virgen“ , „Göriach Bobojacher Alpenwald-Genossenschaft“ , „Nachbarschaft Bühel“ , „Hintertösen Weidegenossenschaft“ , „Gemeinde Virgen ohne die Fraktion Mitteldorf“ , „Gemeinde Schlaiten“ , „Bobojach u. Wallhorner Sägegenossenschaft“ , „Forstlehnmoos Genossenschaft“ , „Groder-Mair-Felder-Schwaiggenossenschaft“ , „Toinigweidegenossenschaft“ sowie die „Stierfleckgenossenschaft St. Andrä Dorf“ . Die für die Grundbuchsanlegung verantwortlichen Beamten waren in Prägraten also mit fast jeder nur denkbaren Spielart von Personenmehrheiten und/oder Zweckvermögen konfrontiert, dennoch fehlten hier einige Erscheinungsformen, die andernorts festgestellt werden können, nämlich „Schulgemeinden“, „Schießstandgemeinden“ und „Gerichtsgemeinden“.

Schulgemeinden als Eigentümer

Für die Schulen hatten die Direktiven von 1897 angeordnet, „Schulgebäude“ würden, „falls nicht ein auf einem besonderen Titel beruhendes Eigenthumsrecht dritter Personen begründet“ sei, „auf den Namen der betreffenden Schule selbst als eines eigenen Rechtssubjektes einzutragen sein“ (Pkt 6). Eine derartige „dritte Person“ fanden die Grundbuchsanlegungsbeamten eben in speziellen „Schulgemeinden“: So wurden in der KG Längenfeld bei diversen, Schulzwecken gewidmeten Liegenschaften nicht die Schulen als solche, sondern folgende Eigentümerpersönlichkeiten einverleibt: „Schulgemeinde Bruggen“ , „Schulgemeinde Dorf“ und „Schulgemeinde Unterried“ .

Gemeindeschießstand als Eigentümer

Der gegenteilige Vorgang zeigt sich bei „Schießstattgemeinden“: Hier erfolgte, vielleicht in Anlehnung an die für Schulen getroffene Anordnung, gerade nicht die Verbücherung einer „Gemeinde“, sondern des jeweiligen Schießstandes selbst: Als Rechtsträger begegneten daher zum Beispiel der „k.k. Gemeinde-Schießstand in Tannheim“ , der „k.k. Gemeindeschießstand Längenfeld“ der „k.k. Gemeinde-Schießstand Kartitsch“ oder der „k.k. Gemeinde Schießstand Innervillgraten“ . Dies stand im Widerspruch zur Anordnung, es sei „stets nur eine physische oder juristische Person“ einzutragen; in diesem Sinne erfolgte – typischerweise erst Jahrzehnte nach der Grundbuchsanlegung – eine Berichtigung auf den wahren Rechtsträger, also einen Schützenverein bzw eine „Schützengilde“. Schulgemeinden wurden in der Regel auf politische Ortsgemeinden berichtigt.

Gerichtsgemeinden als Eigentümer

Im Rahmen der Grundbuchsanlegung begegneten nicht selten auch „Gerichtsgemeinden“, in der Regel aus „Gemeinden“ oder „politischen Gemeinden“ zusammengesetzt. Beispiele dafür sind etwa die „Gerichtsgemeinden-Interessentschaft bestehend aus den Gemeinden Kreith, Mieders, Fulpmes, Neustift und Schönberg“ , das „Gerichtsviertel untere Schranne bestehend aus den nachstehenden politischen Gemeinden a) Ebbs, b) Buchberg, c) Niederndorf, d) Erl, e) Niederndorferberg, f) Rettenschöß, g) Walchsee“ , der „Rustikalgerichtsfond Sillian, bestehend aus sämtlichen Gemeinden des Gerichtsbezirks Sillian mit Ausnahme der Marktgemeinde Innichen“ , das „Zweidrittelgericht Landeck“ oder die „Gedingstatt Zams“ . Weitere Beispiele für „überörtliche Realgemeinden“ sind die „Pfarrgemeinde Breitenwang bestehend aus den Gemeinden Ehenbichl, Pflach, Reutte und Breitenwang“ , die „Fünförtliche Pfarrgemeinde“ , die „Dreiörtliche Pfarrgemeinde“ , die „Bergdrittel Alpinteressentschaft“ , die „Zwei Drittel Galtalpinteressentschaft“ , die „Landdrittel Alpinteressentschaft“ , die „Waldgemeinschaft Kappl–See“ oder die „Lehensassengenossenschaft Rattenberg–Radfeld“ . Einen besonderen Fall findet man in Mutters; hier bilden mehrere quotenlose Gemeinschaften – die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“, die „Nachbarschaft Raithis“ und die „Gemeinde Kreith“ – gemeinsam eine Miteigentümergemeinschaft nach Quoten. Teilweise konnten diese „überörtlichen Realgemeinden“ öffentlichen Interessen gewidmet sein, teilweise waren sie der privaten Nutzung durch die beteiligten „Wirtschaftseinheiten“ vorbehalten.

Katastralgemeinden als Eigentümer

Weiters wurden im Zuge der Grundbuchsanlegung auch „Katastralgemeinden“ als Eigentümerinnen eingetragen, worauf schon 1982 die Tiroler Landesregierung hingewiesen hatte . Beispiele dafür lassen sich jedenfalls nachweisen in den Katastralgemeinden Leithen (Teil der Ortsgemeinde Reith bei Seefeld) , Oberletzen (damals Teil der Ortsgemeinde Wängle) , Reith bei Seefeld sowie Zamserberg; hier fanden sich als Eigentümer sowohl die die „Katastralgemeinde Zamserberg“ selbst als auch die „Katastralgemeinde Zams“ .
Mit den „überörtlichen“ Gemeinden einerseits bzw den Katastralgemeinden andererseits sind jene Erscheinungen zu vergleichen, bei denen als Eigentümer nicht einfach „Gemeinden“ mit jeweils einem einzelnen (geographischen) Namenszusatz verbüchert wurden, sondern bei denen eine genauere Definition dieser Eigentümerpersönlichkeiten durch einen weiteren Zusatz erfolgte, nämlich „Gemeinden ohne …“ oder „Gemeinden mit Ausschluss …“ bestimmer Objekte. Von Gemeinden ausgenommen wurden meist bestimmte „Nachbarschaften“ oder „Weiler“, die dann im Gegenzug über eigenes Liegenschaftsvermögen verfügten.

„Gemeinde ohne …“ und „Gemeinde mit Ausschluss …“

Dies ist etwa der Fall in der bereits erwähnten KG Mutters, wo einerseits die „Gemeinde Mutters ohne Raithis“ , andererseits die „Nachbarschaft Raithis“ begegnet, darüber hinaus aber auch eine schlichte „Gemeinde Mutters“ wohl als „Gesamtgemeinde“ sowie sogar ausdrücklich eine „Gemeinde Mutters einschließlich der Nachbarschaft Raithis“ , letztere sozusagen als Gegenstück zur „Gemeinde ohne…“. Vergleichbares findet sich in der KG Kematen mit der „Gemeinde Kematen ohne Afling“ (in der benachbarten KG Grinzens abgewandelt definiert als „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ ), der „Nachbarschaft Afling“ , der „Gemeinde Kematen“ sowie schließlich der „Gemeinde Kematen mit Afling“ . Weitere Beispiele sind die KG Grinzens mit dem „Weiler Neder“ und der „Gemeinde Grinzens ohne Neder“ , die KG Scharnitz mit der „Gemeinde Scharnitz“ , der „Nachbarschaft Innrain“ und der „Gemeinde Scharnitz jedoch mit Ausschluss der Nachbarschaft Innrain“ oder die KG St. Sigmund mit der „Gemeinde St. Sigmund“ , der „Nachbarschaft Praxmar“ sowie der „Gemeinde St. Sigmund mit Auschluss der Nachbarschaft Praxmar und der Höfe in Kreuzlehen (…)“ .

In allen diesen Fällen aus der „Frühzeit“ der Tiroler Grundbuchsanlegung – in Kematen und St. Sigmund wurden die Grundbücher 1899, in Mutters 1900, in Grinzens 1901 und in Scharnitz 1905 eröffnet – gab es demnach zwei bis vier verschiedene „Gemeinden“; die verschiedenen Ausprägungen von „Gemeinde“ wurden dabei kommentarlos als jeweils eigenständige Rechtsträger in jeweils eigenen Grundbuchsanlegungsprotokollen behandelt, die inhaltlich in keinem Bezug miteinander standen.

Eine andere Variante der „Gemeinde ohne…“ existierte im Grundbuch der zuvor genannten KG Prägraten, nämlich eine „Gemeinde ohne Fraktion“: Die „Gemeinde Virgen ohne Fraktion Mitteldorf“ besaß nach den Ergebnissen der Grundbuchsanlegung im Gemeindegebiet von Prägraten Miteigentum mit „Gemeinde Prägraten“. Fraktionen waren in den Tiroler Grundbüchern allenthalben zu finden und sind dies teilweise auch bis heute. Dies und der Umstand, dass der Fraktionsbegriff mehrdeutig und im Hinblick auf die Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts besonders umstritten ist, rechtfertigen eine ausführliche Betrachtung des „Fraktionseigentums“.

D) Schlussfolgerung

Als Schlussfolgerung ist folgendes festzuhalten: Es gab mannigfache Ursachen dafür, dass in den historischen öffentlichen Büchern in vielen Fällen gerade nicht eine Agrargemeinschaft als Eigentümerin agrargemeinschaftlicher Liegenschaften erfasst wurde, sondern die politische Ortsgemeinde oder eine dieser zugeschriebenen Untergliederung („Fraktion“).

Insoweit die Nutzungsberechtigten ungeachtet dieser Darstellung der Eigentumsverhältnisse in den öffentlichen Büchern weiterhin die Nutzung (zumindest anteilig) ausgeübt haben, behielt diese Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten das (anteilige) Eigentum.

Ein Eigentumserwerb aufgrund langandauernder Verhältnisse (= Ersitzung) der heutigen politischen Ortsgemeinde gegen den Nutzungsbesitzer ist unter dieser Bedingung ausgeschlossen. Die Bucheintragung als Eigentümerin vermittelte insoweit nur einen „nackten Tabularbesitz“.

Die „Gemeinde“ als „nackte Tabularbesitzerin“ muss dem wahren Eigentümer, eben der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten, jederzeit weichen, wann immer diese Nutzungsgemeinschaft die Herausgabe des Eigentums fordert.

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Geschichten von der Grundbuchanlegung

 

MP