An der Tiroler „Allmend-Entlastung“ durch das Forstregulierungs­patent von 1847 scheiden sich die Geister: Hat der Landesfürst Gemeinde­eigentum geschaffen oder Eigentum der Realgemeinde

Anders als die Mathematik oder die „klassische Physik“ ist die Juristerei keine Wissenschaft, wo die Anwendung allgemein nachvollziehbarer Methoden wie Zählen, Messen und Wägen zu eindeutigen Ergebnissen führt. Die Physiker des 20. Jahrhunderts haben uns gelehrt, dass selbst die absolute Konstante „Zeit“ eine relative ist, die abhängig von den Rahmenbedingungen einmal langsamer verrinnt und einmal schneller. Die „ewigen Wahrheiten“ der Physik erscheinen damit heute als „relative“. Wen wundert es, dass auch die „juristische Wahrheit“ eine wechselnde ist, die sich vom Zeitgeist getrieben in Mehrheitsentscheidungen der Richterkollegien und der Gesetzgebungsorgane manifestiert. In diesem Sinn ist der juristische Verständniswechsel zum „Gemeindebegriff“, der in den letzten Jahren von der Tiroler Agrarbehörde vollzogen wurde, in den historischen Urkunden zu relativieren.

Weil die Tirolerinnen und Tiroler in den 1840er Jahren massiv „ihr Waldeigentum“ einforderten, bereinigte Kaiser Ferdinand I. in Eilverfahren die Rechtslage: Das Forstregulierungspatent vom 6.2.1847 durchbrach den Rechtsgrundsatz, dass die „landbautreibenden Untertanen“ nur das Recht der Einforstung hätten und alle Waldungen ein Eigentum des Landesfürsten wären. Für das heutige Nordtirol wurden zwei Kommissionen eingesetzt, die Forsteigentumspurifikationskommission, die ersessenes Privateigentum anerkannte, und die Forstservituten­ablösungskommission, die Einforstungsrechte gegen freies Privateigentum an erheblich verkleinerten „Gemeinde- oder Fraktionswäldern“ abgelöst hat. Als „Restgröße“ sind die heutigen Bundesforste in Nordtirol entstanden. Im heutigen Osttirol hat der Landesfürst generell auf sein Recht an den Wäldern verzichtet und das Eigentum den „holzbezugsberechtigten Gemeinden“ überlassen. Die Geister scheiden sich heute daran, was unter den „Gemeinden“ im Sinn der Urkunden aus den 1840er Jahren zu verstehen sei.

Die Tiroler Agrarbehörde hat sich in den letzten Jahren der historischen Rechtsauffassung der Grundbuchanlegungsbeamten von Ende des 19. Jahrhunderts angeschlossen. Diese haben als Ergebnis der Tiroler Forstregulierung ein Eigentum der heutigen Ortsgemeinden gesehen. Über viele Jahrzehnte vertraten Österreichische Agrarjuristen einheitlich eine gänzlich andere Rechtsauffassung. Es wurde differenziert zwischen der heutigen politischen Ortsgemeinde und der Realgemeinde, einer Nachbarschaft, die sich nur aus den historischen Nachbarn, den

„Ur-, Haus- oder Feuerstattbesitzern“ zusammensetzte. Auf den Punkt bringt dies eine Entscheidung des Obersten Agrarsenates aus dem Jahr 1958, die zu einer Liegenschaft der historischen „Commune Markt Isper“, NÖ, erging. Die Agrarbehörden haben ein Protokoll aus dem Jahr 1829 beurteilt, wonach ein „Gemeindewald“ teilweise unter 26 „Urhausbesitzern“ aufgeteilt wurde, während die vier „Kleinhäusler“ leer ausgingen. Die Feststellung des damaligen Protokolls, wonach „jedes Gemeindemitglied“ einen Teil des „Gemeindewaldes“ erhalten habe, wurde so verstanden, dass im Jahr 1829 der Begriff „Gemeinde“ nur die 26 Urhausbesitzer umfasste. Der restliche „Gemeindewald“ sei deshalb nicht ein Wald des heutigen Marktes Isper gewesen, sondern ein Wald der „Gemeinde Isper“ als Gemeinschaft der 26 Urhausbesitzer.

Der OAS am 6.10. 1958 245-OAS/58: Mag nun die 1864 entstandene neue Rechtspersönlichkeit der politischen Gemeinde zeitweilig die Verwaltung der alten Realgemeinde, die auch vielfach nur mit „Gemeinde“, „Gmoa“, oder „Commune“ bezeichnet wurde, an sich gezogen haben, sei es, dass sich der Personenkreis der beiden verschiedenen Rechtspersönlichkeiten deckte oder, wie es vielfach bei der Grundbuchsanlegung erfolgte, weil man sich der aus ganz verschiedenen Wurzeln entstandenen getrennten Rechtspersönlichkeiten, mangels Erforschung der geschichtlichen Entwicklung, nicht bewusst wurde, das Flurverfassungsgesetz hat an diesen geschichtlich gewordenen Rechtszustand angeknüpft und hat die von den Mitgliedern der alten Realgemeinde genutzten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke und die Summe der Mitglieder, die Nutzungsberechtigten, mit „Agrargemeinschaft“ bezeichnet. Man geht vollkommen irr, wenn man die in den alten Urkunden vorkommenden Bezeichnungen „Gemeinde“ oder „Marktgemeinde“ mit der 1864 entstandenen „politischen Ortsgemeinde“ gleichstellt. Es mag angenommen werden, dass es für gewisse Zeit für die politische Gemeinde und die Realgemeinde eine Art Verwaltungsgemeinschaft gegeben hat. Dies ist verständlich, da der Mitgliederkreis dieser beiden rechtlich verschiedenen Körperschaften sich damals noch weitgehend gedeckt haben dürfte. Es ist belanglos, wann eine Verwaltungstrennung erfolgte. Auch wenn sie nicht erfolgt wäre, könnte die Agrarbehörde im Rahmen eines Regulierungsverfahrens für die Realgemeinde – heute Agrargemeinschaft – eigene Verwaltungssatzungen erlassen und eine selbständige Verwaltung einführen.

 

Eduard Wallnöfer (* 11.12.1913 in Schluderns; † 15.03.1989 in Innsbruck) war von 1949 bis 1963 Landesrat für Land- und Forstwirtschaft und von 1963 bis 1987 Landeshauptmann von Tirol. Als „Agrarlandesrat“ war Eduard Wallnöfer damals auch Vorsitzender des Landesagrarsenates Tirol

Eduard Wallnöfer (* 11.12.1913 in Schluderns; † 15.03.1989 in Innsbruck) war von 1949 bis 1963 Landesrat für Land- und Forstwirtschaft und von 1963 bis 1987 Landeshauptmann von Tirol. Als „Agrarlandesrat“ war Eduard Wallnöfer damals auch Vorsitzender des Landesagrarsenates Tirol

Es kann vorausgesetzt werden, dass Landeshauptmann Eduard Wallnöfer die Judikatur des Obersten Agrarsenates bekannt war, wonach zwischen den heutigen Ortsgemeinden und den historischen Realgemeinden, heute Agrargemeinschaften, zu differenzieren sei. Schon am 13.11.1950 hatte der Landesagrarsenat unter seinem Vorsitz über den „Gemeindewald“ in Tulfes zu entscheiden. Der Oberste Agrarsenat dazu im Erkenntnis vom 2.6.1951 66-OAS-1951: Den jeweiligen Besitzern der fraglichen Höfe steht weit mehr zu als ein bloßes Recht auf Holzbezug, sei es als Servitutsrecht, sei es als Nutzungsrecht am Gemeindegut, nämlich ein Anteilrecht am agrargemeinschaftlichen Gut, welches bei den Rücksitzliegenschaften zu binden ist. Die irrige Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin des Gutes ist nur darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Grundbuchanlegung die alte Agrargemeinde mit der politischen Gemeinde irrtümlicherweise gleichgesetzt wurde. Dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der Agrarbehörde aufgetragen wurde, das Regelungsverfahren für den Gemeindewald Tulfes einzuleiten, war beizupflichten, da eine Ordnung der Verhältnisse unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig war jedoch auszusprechen, dass im gegenständlichen Fall weder Servitutsrechte an einem Gemeindevermögen, noch Nutzungsrechte an einem Gemeindegut vorliegen, sondern der Gemeindewald Tulfes vielmehr ein agrargemeinschaftliches Vermögen darstellt, welches anteilsmäßig gewissen Liegenschaften zukommt. Das Eigentum stand somit der Agrargemeinschaft zu.

Generaldirektor iR. HR Dr. Albert Mair (*13. 09. 1921 in Telfes/Stubai) war von 1952 bis 1966 als Jurist der Agrarbehörde I. Instanz tätig, von 1958 bis 1966 als deren Leiter. 1967 übernahm er höchst erfolgreich die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol

Generaldirektor iR. HR Dr. Albert Mair (*13. 09. 1921 in Telfes/Stubai) war von 1952 bis 1966 als Jurist der Agrarbehörde I. Instanz tätig, von 1958 bis 1966 als deren Leiter. 1967 übernahm er höchst erfolgreich die Tätigkeit als leitender Direktor der Landes-Hypothekenbank Tirol

Dr. Albert Mair begründete im Tätigkeitsbericht der Tiroler Agrarbehörde vom Juli 1958 den dringenden Handlungsbedarf: Die tiefere Wurzel der einzigartigen, kritischen und komplizierten Situation in Tirol ist auf die falsche Auslegung der Waldzuweisung 1847 zurückzuführen. Die kaiserliche Waldzuweisung wollte den bäuerlichen, alten Wirtschafts- und Realgemeinden die Waldungen zu Besitz und Nutzung zuweisen und man hat in einer völlig falschen rechtlichen Beurteilung diese Wirtschaftsgemeinden mit den erst nach der Waldzuweisung von 1847 entstandenen politischen Gemeinden gleichgesetzt und diesen dann auch meist das Eigentum am agrargemeinschaftlichen Gut grundbücherlich einverleibt. Im Bescheid vom 12.12.1962 betreffend das „Gemeindegut“ in Fügen-Fügenberg erläuterte Dr. Albert Mair zum Hintergrund der Regulierung: Nach dem Erlass vom Jahr 1847 wurde bewilligt, dass die Holzbezugsrechte der Untertanen durch Ausscheidung und Überweisung einzelner Forstteile in das Eigentum der betreffenden Gemeinden abgelöst werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich der heutige Gemeindebegriff von dem damaligen wesentlich unterscheidet. Die Gemeinden des Jahres 1847 wurden als Wirtschaftsgemeinden, als die Gesamtheit der Nutzungsberechtigten, verstanden. Es bestand weder die Möglichkeit, noch die Absicht diesen die Nutzungsrechte zu nehmen und das Waldeigentum einer damals noch nicht bestehenden, mit der Gesamtheit der Nutzungsberechtigten nicht identischen politischen Gemeinde geschenksweise zu überlassen.

AGRARBEHÖRDENLEITERTAGUNG 1958

Dr. Albert Mair hatte auf der (österreichischen) Agrar­behördenleitertagung des Jahres 1958 das Hauptreferat gehalten. Aus seinem Vortragsmanuskript „Probleme der Regulierung des Gemeindeguts“:

„Die Bereinigung des Jahres 1847 durch das Waldzuweisungspatent stellte nichts anderes dar als die rechtliche Sanktionierung des tatsächlich ohne Unterbrechung währenden Besitzstandes der Realgemeinden. Unter den in der kaiserlichen Entschließung vom 06.02.1847 erwähnten ‚Gemeinden‘ konnten – und das ist von besonderer und weittragender Wichtigkeit – nur die Realgemeinden und nicht die politischen Gemeinden gemeint gewesen sein. Hätten damals schon die erst in den 1860er Jahren entstandenen politischen Gemeinden existiert und wäre der Wald diesen übertragen worden, so wäre ohne Zweifel in das Waldzuweisungspatent eine Bestimmung aufgenommen worden, wonach auf die althergebrachten Nutzungsrechte Bedacht zu nehmen sei. Dies ist damals aber nicht geschehen und es ergibt sich daher schon aus dem Wortlaut der kaiserlichen Entschließung, dass unter ‚Gemeinden‘ eben seit alters her die Nutzungsberechtigten gemeint waren, die die Realgemeinde bildeten.“

„Die Einverleibung des Realgemeindebesitzes in die politischen Gemeinden erfolgte hauptsächlich mit dem Argument der angeblichen gesetzlichen Universalsukzession der politischen Gemeinde für die einstige Realgemeinde. Von dieser Universalsukzession ist aber in den Gemeindegesetzen mit keinem Wort die Rede.[…] Mit Nachdruck festzuhalten ist jedenfalls, dass die Gemeinden bei ihrer Entstehung überhaupt keinen eigenen Grundbesitz hatten und dass derselbe, wie er heute als Gemeindegut vorliegt, fast ausschließlich aus dem von der Realgemeinde übernommenen und daher seit alters her deutschrechtlichen Rechtsverhältnissen unterliegenden Grundvermögen stammt.“

„Die Grundbuchanlegung schuf nicht Ordnung und Klarheit. […]Das völlig römisch-rechtlich orientierte, auf dem ABGB aufgebaute Grundbuchsrecht konnte der althergebrachten Unterscheidung zwischen den Besitzverhältnissen am deutschrechtlichen All­mendgut und dem sehr jungen Gemeindevermögen keinerlei Verständnis entgegenbringen.“ „Dem römischen Recht war der Begriff des gemeinschaftlichen Obereigentums, wie es sich in der Realgemeinde und auch in der Nutzungsberechtigung der Teilhaber am Gemeinschaftsgebiet darstellt, völlig fremd. Dieser Nutzungsanspruch am Allmendgut war keine Servitut an fremdem Grund und Boden, sondern ein Nutzungsanspruch auf eigenem Grund. Das stark individualistisch betonte römische Recht kannte nur Privateigentum oder Miteigentum an Grund uns Boden, so dass das ABGB die Rechtsform einer Agrargemeinschaft oder einer agrargemeinschaftlichen Nutzung ebenfalls nicht kennt.“

„Die Grundbuchskommissäre wussten sich mit dem deutschrechtlichen Rechtsinstitut der Realgemeinde keinen Rat und gaben sich meist auch nicht die Mühe einer eingehenden Prüfung der tatsächlichen besitzrechtlichen Grundlagen. So kam es, dass im Grundbuch die unterschiedlichsten Eigentumseintragungen für das Gemeinschaftsgut erfolgten, wie z.B. politische Gemeinde, Katastralgemeinde, Fraktion, Nachbarschaft, Interessentschaft und dergleichen. […] Bei dieser Vorgangsweise und bei den mangelnden agrarrechtlichen Kenntnissen der Grundbuchkommissäre liegt es auf der Hand, dass die Grundbücher hinsichtlich des Eigentums am Gemeinschaftsbesitz und am Gemeindegut vielfach objektiv völlig unrichtige Eintragungen enthalten.“

Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“

Gerald Kohl, Dr.iur., Ao. Univ.-Prof. am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien; Habilitation für die Fächer „Österreichische und europäische Rechtsgeschichte einschließlich Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ sowie „Europäische Privatrechtsentwicklung“

Univ.-Prof. Dr. Gerald Kohl bestätigt heute die Richtigkeit der seinerzeitigen Überlegungen von HR. Dr. Albert Mair: „Gemeinde“, so Professor Dr. Kohl, „ist ein historisch schillernder Begriff.“ Welcher Personenkreis sich jeweils hinter einer „Gemeinde“ verbirgt, ist von den in Frage kommenden Nutzungen abhängig und daher recht unterschiedlich – zum Beispiel bei Almen die Viehbesitzer, bei Wäldern die Feuerstattbesitzer. Im Zuge der Forstregulierung 1847 trat an die Stelle des gemeinschaftlich genutzten Staatseigentums ein gemeinschaftlich genutztes Privateigentum. Für diese Gemeinschaften wurden mehrdeutige „Etiketten“ verwendet – „Gemeinde“, „Ortschaft“, „Fraktion“, „Nachbarschaft“ etc. Diese Bezeichnungen wurden auch bei der Grundbuchanlegung verwendet , weil diese Gemeinschaften sich zum Teil durch Jahrhunderte als „Gemeinde“ verstanden hatten. Bis zum Ende der Monarchie waren in den Dörfern – neben dem Lehrer und dem Pfarrer – praktisch nur die Besitzer von Grund und Boden wahlberechtigt. Es gab gar keinen Grund, sich von einem Selbstverständnis als „Gemeinde“ zu distanzieren.

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drei Personen als Gemeinde

MP