1363: Ein verwegener Bergsteiger
gewinnt Margarethes Herz
von
Dr. Bernd Oberhofer
16. Jänner 1363, Krimmler Tauern: Herzog Rudolf von Habsburg-Österreich, sein Kanzler Bischof Johann Ribi von Gurk, und drei weitere Begleiter haben sich durch Schnee und Eis gekämpft. Vor fünf Tagen sind sie in Wien aufgebrochen. Vier Nächte und drei Tage sind Herzog Rudolf und seine Gefährten im Sattel gesessen. In Krimml im Pinzgau hat die kleine Reisegruppe einen Tag Rast gemacht, Säumer gedungen und den Übergang über das Gebirge vorbereitet. Heute Mittag haben sie die auf 2.600 Meter gelegene Passhöhe überwunden. Ein Teil der Säumer ist noch im Salzburgischen auf der Warnsdorfer Alm mit den Pferden umgekehrt. Der Pass konnte im Winter nur zu Fuß überwunden werden. Angeführt von den vier Krimmlern, die sie heil über den Pass bringen sollen, hat die Gruppe nun den Wald auf Tiroler Seite erreicht. Am Horizont hat Herzog Rudolf schon die Häuser von Prettau erkannt. Sie haben es geschafft! Mitten im Winter haben sie vom Pinzgau aus über die Hohen Tauern das Tiroler Ahrntal erreicht.
An 10. Jänner sind in Wien Brieftauben des Tiroler Kanzlers Johann von Lichtenwerth eingelangt. Meinhard, Graf von Tirol und Herzog von Bayern, soll sterbenskrank darnieder liegen, möglicher Weise vergiftet. Rudolfs Brüder haben ihn für verrückt erklärt, weil er mitten im Winter über die Tauern nach Tirol eilen wollte. „Tirol ist das Wagnis allemal wert!“ hat Rudolf ihnen vorgehalten. Noch in derselben Nacht sind sie zu fünft in Wien aufgebrochen: Über Judenburg Steiermark ins Salzburgische bis Krimml von dort das Salzburger Achental südwärts über die Tauern ins Tirolische Ahrntal. Mehrfach hat Rudolf in diesen Tagen seinen Tiroler Schwager im Gedanken verflucht. Warum muss er sich mitten im Winter zum Sterben niederlegen? Aber was soll das helfen – Herzog Rudolf ist fest entschlossen, den Vettern aus dem Haus Wittelsbach-Bayern und dem Görzer Grafen Meinhard zuvor zu kommen. Auch die Machtgelüste seines Schwiegervaters, Karl von Luxemburg, seit 1346 deutscher König und seit 1355 Kaiser des heiligen römischen Reiches, sind im Auge zu behalten. Schließlich hat dieser schon im Jahr 1347 versucht, Tirol mit Waffengewalt in seine Hand zu bringen. Und als Kaiser des Reiches standen ihm viele Machtmittel zur Verfügung.
Rudolf IV. von Habsburg „Sohn seiner Zeit“
So oder so ähnlich wären die Gedanken Rudolfs IV. von Habsburg, „des Stifters“, nachzuvollziehen, wäre er – wie die älteren Geschichtsschreiber behaupten – über den Krimmler Tauern gereist. Tatsächlich beweisen zwei Schreiben Rudolfs IV. aus diesen Tagen, dass er in Wahrheit die Reiseroute über Kärnten und durch das Pustertal genommen hatte; letzteres gehörte damals bis zur Mühlbacher Klause zum Herrschaftsbereich der Grafen von Görz. Die nachträglich erfundene Geschichte der verwegenen Winterreise über den Krimmler Tauern sollte den Handstreich des „jungen Helden“ glorifizieren, mit dem er das Herz Margarethes und die Grafschaft Tirol gewonnen hatte. Rudolf IV. war nicht nur ein energischer und engagierter Herrscher, er war auch ein genialer Stratege – in politischer Hinsicht und die geistlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen betreffend. Als würdiger Sohn seines Vaters Herzog Albrecht von Habsburg-Österreich, den alle „den Weisen“ nannten, soll er schon als junger Mann wie ein König aufgetreten sein. Und Rudolf IV. war nicht abgeneigt zur Erhöhung seiner Person und des Fürstenhauses Habsburg-Österreich den Behelf der Geschichtsfälschung anzuwenden. Dies ganz im Stil der damaligen Zeit.
Seit der kaiserlosen Zeit, dem Interregnum, das mit der Wahl Rudolfs I. von Habsburg zum deutschen König im Jahr 1273 beendet wurde, waren drei Fürstenhäuser in große Machtpositionen gekommen: Habsburg, Luxemburg und Wittelsbach. Johann von Luxemburg, als König von Böhmen der angesehenste unter den Fürsten des Reiches, hatte als erster die Hand nach Tirol ausgestreckt. Gegen eine enorme Geldzusage bewog der Luxemburger den Vater Margarethes in die Verheiratung seiner einzigen Tochter mit dem jüngeren Königssohn des Luxemburgers einzuwilligen. Das geschah im Jahr 1330. Dagegen hatten sich der Habsburger Herzog Albrecht „der Weise“ und der Wittelsbacher Kaiser Ludwig „der Bayer“ verschworen. In einem Geheimvertrag vereinbarten sie, die Erbländer des Tiroler Grafen nach dessen Tod unter sich aufzuteilen. Margarethe und ihr Luxemburger Ehegespons sollten leer ausgehen. Als der Tiroler Graf 1335 starb, besetzten die Habsburger sofort das Herzogtum Kärnten. Margarethe konnte sich jedoch in Tirol als neue Landesherrin durchsetzen. Dies mit Hilfe ihres damaligen Schwagers Karl von Luxemburg, dem späteren Kaisers Karl IV. Nur sechs Jahre später hatte Margarethe allerdings selbst der Luxemburger Herrschaft in Tirol ein Ende bereitet. Sie hatte den Luxemburger Königssohn ausgetrieben und den Wittelsbacher Ludwig von Brandenburg geheiratet, den Sohn des Kaisers Ludwig „des Bayern“. Diese zweite Ehe Margarethes war offensichtlich eine glückliche. Vier Kinder hatte Margarethe geboren, von denen allerdings nur der Erstgeborene, Meinhard, die Tage als Kleinkind überlebte.
Erbrecht und die Macht, es durchzusetzen
Dieser Meinhard war 1361 mit dem Tod seines Vaters, Ludwigs von Brandenburg, Herzog von Bayern geworden und Graf von Tirol. Mit dem Tod Meinhards im Jänner 1363 erbten die fünf Brüder des Vaters aus dem Haus Wittelsbach die Herrschaftsrechte als Herzog von Bayern; die Rechte als Graf von Tirol gingen auf seine Mutter über. Das Erbrecht der Frauen war damals allerdings keine Selbstverständlichkeit. Die fünf Wittelsbacher Brüder, die Onkeln Meinhards III. von Tirol, machten sich deshalb Hoffnung auf einen Zuerwerb im Gebirge. Dem wollte Herzog Rudolf von Habsburg zuvor kommen. Rudolf wollte in Tirol Fakten schaffen. Dies mitten im Winter, solange keiner der Gegenspieler in der Lage wäre, Tirol mit Gewalt zu nehmen. Seit dem Jahr 1349 bestanden enge Freundschaftsbeziehungen zwischen dem Herzog von Österreich Albrecht „dem Weisen“ und den Herrschern im Land im Gebirge. Herzog Albrecht hatte versprochen, Ludwig und Margarethe bei der kirchlichen Anerkennung ihrer Ehe zu unterstützen. Gleichzeitig war die Verlobung der Fürstenkinder Meinhard von Tirol und Margarethe von Habsburg-Österreich, seiner Schwester, vereinbart worden. Herzog Rudolf hatte nach dem Tod seines Vaters Albrecht mit aller Macht dafür Sorge getragen, dass die Verhandlungen mit dem päpstlichen Stuhl zu einem erfolgreichen Ende gebracht wurden. Am 2. September 1359 war in München der päpstliche Dispens für die Eheschließung Ludwigs von Brandenburg und Margarethes von Tirol öffentlich verkündet und vier Tage später die kirchliche Hochzeit gefeiert worden. Nun wollte Rudolf IV. den Lohn für diese Bemühungen sicherstellen.
Am 18. Jänner erreichte Rudolf von Habsburg Schloss Rodenegg am Ausgang des Pustertals, damals den Habsburger Herzögen verpfändet. Seinen Kanzler Bischof Johann Ribi von Gurk, der die Reise mit ihm unternommen hatte, schickte er nach Brixen, um den dortigen Bischof für seine Pläne zu gewinnen. Er selbst begab sich nach Bozen, wo er mit Gräfin Margarethe und seiner frisch verwitweten Schwester das Zusammentreffen für den 20. Jänner vereinbart hatte. Rudolfs Plan war es, Margarethe für die sofortige Übergabe aller Herrschaftsrechte und aller Besitzungen zu gewinnen. Auf Lebenszeit solle sie zwar in Tirol regieren; dies jedoch im Namen der österreichischen Herzöge Rudolf, Albrecht und Leopold. Margarethe von Tirol leistete dem Bruder ihrer Schwiegertochter keinen Widerstand. Auch der Tiroler Adel erlag dem Charme des Österreichers. Bereits am 26. Jänner 1363 wurde die Übergabeurkunde in Bozen feierlich errichtet – gesiegelt von Margarethe, Rudolf und zwölf Tiroler Landherrn, Vertreter der angesehensten Tiroler Familien. Ohne Widerstand befolgten die Tiroler Margarethes Aufforderung, den österreichischen Herzögen die Treue zu schwören. Am 3. Februar huldigte Bozen, am 5. Meran, am 9. Sterzing, am 10. Innsbruck, am 11. Hall. Schon in der zweiten Februarhälfte konnte Rudolf IV. von Habsburg-Österreich, nunmehr auch Graf von Tirol, die Grafschaft erfolgreich alleine lassen. Der 23jährige Fürst, der überall wie ein König auftrat, hatte die Herzen der Tiroler im Sturm erobert. Noch am 5. Februar hatte der Bischof von Brixen die Herzöge von Österreich mit allen Rechten belehnt, welche die Grafen von Tirol bisher in seinem Bistum innehatten; am 18. September 1363 erfolgte derselbe Schritt seitens des Bischofs von Trient; im Februar 1364 von Seiten des Bischofs von Chur.
Rudolf IV. von Habsburg „Superstar“
Warum Margarethe von Tirol sofort eingewilligt hat, ihren Schwiegersohn zum neuen Herrn des Landes im Gebirge zu machen, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Offensichtlich sah Margarethe in Rudolf den Ersatz für den verstorbenen Sohn. Meinhard und Rudolf lagen altersmäßig nur wenige Jahre auseinander und sie waren sich freundschaftlich verbunden gewesen. Und die Alternativen für Margarethe waren nicht wirklich attraktiv: Den fünf jüngeren Brüder ihres verstorbenen Gatten, den Herzöge von Bayern, wollte sich Margarethe nicht ausliefern. Die Grafen von Görz und Krain, die Anspruch auf die Wiedervereinigung der Gebiete östlich und westlich der Mühlbacher Klause hatten, kamen wegen ihrer fehlenden Machtmittel nicht in Betracht. Das Haus Luxemburg mit Kaiser Karl IV. an der Spitze, war immer noch Margarethes „Erbfeind“, weil sie den Königssohn Johann Heinrich 1341 aus Tirol ausgetrieben hatte. Und sechs Jahre später hatte Margarethe ihr Land erfolgreich gegen ein Heer des Luxemburgers verteidigt. Hinzu kam die Verwandtschaft: Rudolfs Großmutter Elisabeth war die Tante von Margarethe.
Anteil am Zustandekommen des Machtwechsels hatte natürlich auch der Tiroler Adel. Margarethe war 45 Jahre alt und nun ohne Nachfolger. Im Vergleich zu den Bayrischen Herzögen, die ihr Machtzentrum vor der Tiroler Haustüre besaßen, schienen die Herzöge von Österreich im fernen Wien als neue Landesherren ungleich attraktiver. Auch die enge Verbindung Rudolfs mit dem Haus Luxemburg als Schwiegersohn des Kaisers Karl IV., war zu berücksichtigen. Alles sprach dafür, den brillanten „Jungpolitiker“ Rudolf IV. von Habsburg, den „Superstar“ unter den Reichsfürsten, samt seinen Brüdern als neue Landesherren einzusetzen.
In der Zwischenzeit verstrickten sich die fünf Bayernherzöge in Streitigkeiten um das Erbe ihres Neffen. Absehbar war, dass Herzog Stefan von Wittelsbach mit Waffengewalt nach Tirol greifen würde, sobald der Familienstreit beigelegt wäre. Die drohende Kriegsgefahr bewog Rudolf im Sommer 1363 wieder nach Tirol zu reisen und Verteidigungsvorbereitungen zu treffen. Auch wollte er Margarethe dazu bewegen, alle Herrschaftsrechte zu Gunsten der Habsburger Herzöge aufzugeben. Wieder akzeptierte Margarethe den Wunsch Rudolfs. Am 29. September 1363 erfolgte Margarethes feierliche Abdankung als Regentin. Mitte November 1363 startete der erste Angriff der Bayern, den Rudolf erfolgreich zurückschlagen konnte. Ein überraschender Überfall ein Monat später um die Weihnachtszeit 1363 traf Tirol hingehen unvorbereitet. Die Bayern erwiesen sich im Inntal als große Brandstifter, Mörder und Räuber. Dieses Kriegsereignis begründete das zwiespältige Verhältnis der Inntaler zu den nördlichen Nachbarn. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die „Schutzpatronin der Frauenemanzipation“
Noch im Jahr 1363 verließ Margarethe Tirol und übersiedelte nach Wien, wo sie 1369, 51jährig, verstarb. Nach der Legende soll Wien Margareten, der fünfte Wiener Bezirk, nach ihrem Alterswohnsitz benannt sein. Nach zeitgenössischen Beschreibungen war Margarethe von Tirol eine außergewöhnlich schöne Frau. In einer Männerwelt hatte sie ihr Erbrecht zu einer Zeit durchgesetzt, als solches für Frauen allgemein ausgeschlossen war. Und sie hatte sich Jahrzehnte lang erfolgreich als Landesherrin behauptet – dies an einem Brennpunkt der Geschichte. Margarethe hatte den ihr als Kind aufgezwungenen Ehegatten erfolgreich aus Tirol ausgetrieben und in freier Wahl den attraktivsten Mann zu ihrem Gatten gewählt, den das Deutsche Reich damals zu bieten hatte: Ludwig von Brandenburg war gerade drei Jahre älter als Margarethe, er war gutaussehend, er hatte sich schon in jungen Jahren als hervorragender Kriegsmann und energischer Politiker bewährt, er war Herr über Mark Brandenburg und damit stimmberechtigte bei den Wahlen zum Deutschen König. Und er war der älteste Sohn des regierenden Deutschen Kaisers. Der 18 Jahre dauernden Konflikt mit der offiziellen Kirche, den Päpsten in Avignon, und dadurch bedingt der förmliche Stand als bloße Mätresse eines Fürsten des Reiches, war sicherlich nicht geplant. Der Konflikt mit dem Papst war jedoch von Margarethe offenkundig in Kauf genommen. Das persönliche Glück war ihr wichtiger als ein guter Ruf und gesellschaftliche Konventionen. Der „Befreiungsschlag ihres Lebens“ am Allerseelentag des Jahres 1341, als Margarethe ihren Gatten aus der ehelichen Wohnung vertrieb und alle Böhmen und Luxemburger aus dem Land geworfen hat, und noch viel mehr die päpstlich nicht genehmigte Annullierung ihrer Ehe und die Neuverheiratung durch Kaiser Ludwig am 10. Februar 1342, bescherten Margarethe international über Jahre „negative Schlagzeilen“. Und einen Angriffskrieg ihres „Leider-Nein-Schwagers“ Karl von Luxemburg im Jahr 1347. Margarethe hatte jedoch eine persönliche Entscheidung für ein neues Leben getroffen und diese Entscheidung gegen alle gesellschaftlichen Normen ein Leben lang konsequent durchgezogen. Den Ehrentitel einer „Schutzpatronin der Frauenemanzipation“ hat sie sich allemal verdient.
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Ein verwegener Bergsteiger gewinnt das Herz von Margarethe Maultasch, von Dr. Bernd Oberhofer