Margarethe Maultasch von Tirol
Skandal-Lady vergangener Zeit
von
Dr. Bernd Oberhofer
13. Jänner 1363: Margarethe, die Erbgräfin von Tirol, hält ihren toten Sohn Meinhard in den Armen. Die Geschichtsschreiber sollten ihm den Namen „Meinhard III.“ geben. Erst über die Jahresfrist hatte Margarethe ihren geliebten Gatten Ludwig von Wittelsbach, den alle nur „den Brandenburger“ nannten, Landesfürst von Tirol und Herzog von Bayern, 46jährig zu Grabe getragen. Nun hatte sie auch noch das letzte von vier Kindern, Meinhard, verlassen. Die Erbgräfin Margarethe zählt 45 Lenze und sie ist vom Leben erschöpft. Margarethe weiß, dass mit dem Tod ihres Sohnes die Linie der Grafen von Tirol zum Aussterben bestimmt ist. Vor wenigen Tagen hatte ihr Sohn auf einem Tanzfest in Meran erhitzt einen kalten Trunk getan. Seitdem hatte er mit dem Tod gerungen. Und sie, seine Mutter, hatte nichts für ihren Sohn, tun können.
Schon in Margarethes Vater Heinrich, war die Kraft des Geschlechts der Grafen von Tirol, der Meinhardiner, verblasst. Ihr Vater hatte es durch glückliche Umstände erreicht, die Grafschaft über Tirol und das Herzogtum über Kärnten mit der Würde eines Königs von Böhmen zu vereinen (1307). Den ganzen Machtzuwachs hatte ihr Vater aber nicht nutzen können. Nach nur drei Jahren verlor er das Königreich Böhmen an Johann von Luxenburg (1310). Seither hatte sich das Geschlecht der Luxenburger im Königreich Böhmen festgesetzt. Die Luxenburger gründeten darauf ihre Hausmacht, die den Sohn Johanns von Luxenburg, Karl, und Johanns Enkel Sigismund, an die oberste Spitze des Reiches, auf den Kaiserstuhl, bringen sollte (1346: Karl IV.; 1411 Sigismund). Drei Ehen hatte ihr Vater Heinrich Graf von Tirol und Herzog von Kärnten geschlossen; keine dieser Ehen war mit einem männlichen Erbfolger gesegnet. So war sie, Margarethe, zur „Erbgräfin“ geworden.
1330: Kinderhochzeit in Innsbruck
Gräfin Margarethe streicht über das blasse Antlitz ihres toten Sohnes. Für einen Moment schwinden ihr die Sinne. Die Bilder ihrer Jugend steigen in ihr auf. Das jähe Ende ihrer Kindheit im Oktober 1327 mit gerade neun Jahren, als der ihr Vater einen fünfeinhalb jährigen „Rotzbuben“ nach Schloss Tirol gebracht hatten. Johann Heinrich hatte er geheißen, aus dem Geschlecht der Luxenburger, der jüngere Sohn des mächtigen Königs Johann von Böhmen. Ihr Vater hatte sich mit dem Luxenburger ausgesöhnt. Der Tiroler Graf hatte in ihm den starken Verbündeten für die Erbfolge der Tochter gefunden. Margarethe hatte ihn nie leiden können, den böhmischen Rotzbuben. Trotzdem hat ihr Vater sie drei Jahre später (September 1330) als Gegenleistung für Geldversprechen des Luxenburgers mit dem Böhmenbuben verheiratet. Johann Heinrich war zur Hochzeit acht Jahre alt; sie, Margarethe, war gerade zwölf. Wie hatte sie den Böhmenbuben gehasst! Zum Vollzug der Ehe war es nie gekommen; der Böhmenbube hatte es nie gewagt, sie, Margarethe, anzufassen.
Knappe fünf Jahre später, bald nach Margarethes 17. Geburtstag, war ihr Vater gestorben (2. April 1335). Da zeigte sich schnell, dass der damalige Kaiser Ludwig von Wittelsbach, „der Bayer“, Pläne für die Länder ihres Vaters hatte. Gleich nachdem der Böhmenkönig seinen jüngeren Sohn im September 1330 glücklich in Tirol und Kärnten eingeheiratet hatte, konnte sich Kaiser Ludwig mit den Habsburger Herzögen von Österreich verabreden. Die Pläne des Böhmenkönigs, Tirol und Kärnten für das Geschlecht der Luxenburger zu erwerben, sollten versalzen werden: Kaiser Ludwig versprach dem Hause Habsburg auf den Todesfall des Tiroler Grafen die Belehnung mit dem Herzogtum Kärnten und als Draufgabe den südlichen Teil Tirols; den nördlichen Teil Tirols wollte der Kaiser seinem Herzogtum Bayern angliedern. Die Grenze sollte Finstermünz, der Jaufen-Pass sowie die Peisser-Holzbrücke über den Eisack bilden, jene Holzbrücke, die Oberau und Unterau verbunden hat. Sterzing sollte Bayrisch werden. Brixen sollte den Habsburgern zufallen.
Tirol: Objekt der Begierde
Margarethes Vater war Anfang April 1335 verstorben. Um die Luxenburger Herrschaftsübernahme zu verhindern, kamen die Habsburger-Herzöge Albrecht und Otto von Österreich noch im gleichen Monat in Linz mit Kaiser Ludwig zusammen. Der Kaiser erklärte Tirol und Kärnten zu „erledigten Reichslehen“. Margarethes Erbrecht wurde aberkannt. Schon am 2. Mai 1335 wurden die Habsburger-Herzöge Albrecht und Otto mit dem Herzogtum Kärnten und mit dem südlichen Teil Tirols samt der Schirmvogtei über die Bistümer Brixen und Trient, belehnt. Der nördliche Teil Tirols sollte den Söhnen des Kaisers, somit dem Haus Wittelsbach-Bayern, zu fallen.
Nur durch rasche Rüstung und energische Verteidigung hätte sich das luxenburgische Haus das Herzogtum Kärnten erhalten können. Das war jedoch nicht geschehen. Schon im Juni 1335 rückte der Habsburger-Herzog Otto in Kärnten ein. Er hatte sich mit dem Landeshauptmann und Landmarschall Konrad von Aufenstein verständigt. Der Aufensteiner, ein Tiroler mit Stammsitz im Wipptal, bewog die Unterwerfung des Kärntner Adels. Anders handelten die Tiroler, die nur sie, Margarethe, die Tochter des Fürsten, als rechtmäßige Herrin anerkannten. Ohne auf Hilfe aus Böhmen zu warten griff der Tiroler Volkmar von Burgstall mit seinen Scharen im Sommer 1335 Schloss Aufenstein bei Matrei/Wipptal an und zerstörte den Stammsitz des treulosen Konrad. Endlich im Dezember 1335 war Margarethes Schwager, Karl von Luxenburg, in Tirol eingetroffen. Mit Zustimmung der Tiroler Landherrn nahm Karl die Zügel der Regierung Tirols in die Hand. Er organisierte tatkräftig die Verteidigung des Landes gegen Bayern, Salzburg und Görz sowie im Süden gegen die Herrn von Verona. Überall hatten der Wittelsbacher Kaiser und die Herzöge von Habsburg-Österreich ihre Verbündeten. Nach vergeblichen Friedensverhandlungen startete Margarethes Schwiegervater, der Böhmenkönig Johann von Luxenburg, im Februar 1336 einen „Entlastungsangriff“ auf Österreich. Margarethes Schwager Karl überschritt am 1. April 1336 mit den Tiroler Scharen die Grenze bei Mühlbach im Pustertal und drang in der damaligen Grafschaft Görz ein. Erst bei der Lienzer Klause wurden Karl und die Tiroler Truppen gestoppt.
Kaiser Ludwig hatte sich jedoch bereits wenige Monate später mit den Herzögen von Habsburg-Österreich entzweit. So kam es noch im Oktober 1336 zu einem Friedensvertrag zwischen Habsburg-Österreich und dem Böhmenkönig Johann von Luxenburg. Margarethe und Johann Heinrich konnten Tirol behalten; das Herzogtum Kärnten blieb dem Haus Habsburg-Österreich.
Margarethe vertreibt Johann Heinrich
Inzwischen treten die vornehmsten Landherrn in das Gemach des toten Tiroler Landesfürsten. Gräfin Margarethe hatte sie durch Boten verständigen lassen. Sie kommen, um sich von ihrem Fürsten zu verabschieden. Gräfin Margarethe blickt ihrem Landeshauptmann Ulrich von Matsch, dem Hofmeister Heinrich von Rottenburg und dem Burggrafen Petermann von Schenna in die Augen. Den mächtigen Tiroler Landherrn waren die Tränen in die Augen gestiegen beim Anblick der gebrochenen Landesmutter, in deren Armen der junge Fürst ganz schmal geworden war. Margarethe bettet das Haupt des toten Sohnes und küsst seine Stirn. Ihre Gedanken schweifen zu seinem Vater, den sie erst vor knapp 15 Monaten zu Grabe tragen musste. Vor 21 Jahren, am 10. Februar des Jahres 1342, hatte sie Kaiser Ludwig auf Schloss Tirol mit seinem ältesten Sohn, Ludwig von Brandenburger, verheiratet.
Johann Heinrich ihr erster Gemahl, war dem strengen Regiment, das sein Bruder Karl in Tirol führte, nie entwachsen. Bei ihr, Margarethe, hatte der Pubertierende versucht, sich mit Beißen und Kratzen Respekt zu verschaffen. Nicht einmal die deutsche Landessprache wollte er lernen. Im Jahr 1340 hatte sich Margarethe entschlossen, dem ein Ende zu bereiten. Die Böhmen sollten aus dem Land geschafft werden. Ihr Wille hatte sich mit der Meinung ihrer obersten Landherrn getroffen. Ihr Schwager Karl, der das Regiment führte, war nicht bereit, die Rechte der Tiroler Landherrn zu achten. Gegen die Macht des Schwiegervaters und seine böhmischen Heerscharen wollte man Schutz bei Kaiser Ludwig suchen. Dessen Sohn, Ludwig von Brandenburg, 25jährig und ein tüchtiger Kriegsherr, war gerade Witwer geworden. Ludwig von Brandenburg sollte sie, Margarethe, die Erbgräfin von Tirol, ehelichen.
Ein erster Versuch zum Rauswurf der Böhmen im Jahr 1340 war an der Entschlossenheit des Schwagers Karl von Luxenburg gescheitert; am 2. November 1341 war man neuerlich zur Tat geschritten. Margarethes Schwager Karl war außer Landes. Als Johann Heinrich spätnachts von der Jagd heimkehrte, fand er Schloss Tirol verschlossen und seine böhmischen Hofleute ausgetrieben. Auch anderswo in Tirol wurde ihm die Türe gewiesen. Erst beim Patriachen von Aquileja fand er Unterschlupf, wo er fünf Monate vergeblich ausharrte in der Hoffnung auf einen Umschwung seines Schicksals.
Kaiser Ludwig stiftet eine Zivilehe
Die Tiroler Landherrn hatten die Verhandlungen mit Kaiser Ludwig und dem erwählten neuen Gemahl Margarethes zügig zu Ende geführt. Volkmar von Burgstall, Tägen von Villanders, Eckart von Trostburg und Konrad von Schenna, die vornehmsten unter ihnen, hatten folgendes Gelöbnis erreicht, das am 28. Jänner 1352 zu München, geleistet wurde: Alle Tiroler, Geistliche und Weltliche, Edle und Unedle, Städte und Dörfer, wären bei ihren hergebrachten Rechten zu belassen, namentlich keine außerordentlichen Steuern aufzuerlegen, ohne Zustimmung der tirolischen Landleute die Tiroler Festen nicht mit Ausländern zu besetzen und überhaupt die Regierung nur mit Rat der Besten, die im Lande ansässig sind, zu führen. Diese älteste und wichtigste der Tiroler Landesfreiheiten wurde von Kaiser Ludwig ausdrücklich bestätigt.
Anfang Februar des Jahres 1342 reisten der Kaiser, sein Sohn Ludwig von Brandenburg und ein großes Gefolge nach Tirol. Wegen tiefgreifender Differenzen zwischen dem Kaiser und dem damals in Avignon residierenden Papsttum (Johannes XXII und Bendedikt XII) war an die kirchenrechtlich nötige Unterstützung des Papstes für die neue Eheschließung nicht zu denken. Der Bischof von Freising, Ludwig von Gutenstein, der sich im Gefolge des Kaisers befand, wollte die Ehe zwischen Margarethe und Johann Heinrich wegen Impotenz des Ehegatten annulieren. Dass ein Achtjähriger und eine Zwölfjährige – selbst mit päpstlichem Dispens – einander niemals ein gültiges Eheversprechen gegeben hatten, wurde damals nicht anerkannt. Beim winterliche Übergang über den Jaufen-Pass verlor der Bischof von Freising jedoch das Leben und die zwei weiteren Bischöfe von Augsburg und Regensburg, die sich im Gefolge des Kaisers befanden, deuteten dies als göttliches Zeichen. Sie wagten es nicht mehr gegen den Willen von Papst Benedikt XII. die Nichtigkeit der Ehe Margarethes und Johann Heinrichs nach kirchlichem Recht auszusprechen.
Kaiser Ludwig, seit Anfang der 1320er Jahre in einem tiefgreifenden Streit mit dem Avignon´schen Papsttum, wollte jedoch auf den Erwerb Tirols für Wittelsbach-Bayern nicht verzichten – genau so wenig, wie die Tiroler Landherrn auf die Zusicherung ihrer „großen Freiheiten“ durch den künftigen Landesherren. Marsilius von Padua und William von Ockham, zwei der bedeutensten Staatstheoretiker und Theologen ihrer Zeit, begründeten in Traktaten das Recht des Kaisers in Ehesachen zu entscheiden und zu dispensieren. Am 10. Februar des Jahres 1342 gaben sich deshalb Margarethe und Ludwig von Bandenburg unter der Autorität des Kaisers auf Schloss Tirol das Eheversprechen. Am Folgetag belehnte der Kaiser zu Meran das junge Paar mit allen Rechten eines Grafen von Tirol und eines Herzogs von Kärnten. Der Kirchenbann aus Avignon folgte auf den Fuß; ebenso das Interdikt gegen die ganze Grafschaft Tirol. Erst 16 Jahre später sollte es gelingen, die Eheschließung von Margarethe mit Ludwig von Brandenburg kirchenrechtlich zu vollziehen und ihren gemeinsamen Sohn Meinhard zu legitimieren. Albrecht der Weise von Habsburg- Österreich und sein Sohn, Rudolf der Stifter, konnten erfolgreich beim päpstlichen Stuhl vermitteln.
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Margarethe Maultasch von Tirol. Skandal-Lady des 14. Jahrhunderts, von Dr. Bernd Oberhofer
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Fortsetzung:
„Margarethe und der Kaisersohn Ludwig“
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Bernd Oberhofer